Wie die ideale Fantasy-Welt auszusehen hat, darüber lassen sich Blogger und Forenschreiber alle paar Monate gerne aus (so geschehen z.B. hier). Anscheinend gibt es da eine unerfüllte Sehnsucht, die bisher weder DSA noch D&D noch Splittermond & Co. zu stillen vermocht haben. Grund genug für mich, der ich dieser Tage ja eher weniger blogge, mal wieder nachzulegen.
Mittelalterliche Prägung. Meine Wunsch-Setting ist definitiv medieval fantasy. Ich finde die enge Verknüpfung mit dem Hochmittelalter die ideale Kombination aus Fortschritt und Tradition. Der Vorstellungsraum ist reich und farbenprächtig – da fehlt eigentlich nichts. Schusswaffen mag ich nicht, sie nehmen Antiquiertheit raus; daher ist das für mich genau der richtige “Tech Level”.
Keine Elfen, Zwerge und Orks. Sorry, Tolkien-Jünger, aber ich finde, diese Rassen haben ausgedient. Klar kann man sie immer wieder neu erfinden (so z.B. geschehen in Destiny Dungeon) und dadurch mal wieder interessant machen, aber sie werden doch ziemlich überschätzt. Viel lieber sind mir da
Neue Rassen. Solange es nicht Talislanta-Züge annimmt oder an Deep Space Nine erinnert, wo jeder mit einem sichtbaren Überbein als Alien durchgeht, heiße ich neue, durchdachte Rassen sehr willkommen. Letztendlich geht es dabei um neue Kombinationen von Charaktereigenschaften und Fähigkeiten und die Möglichkeit, die Seelenwelt und den kulturellen Hintergrund von etwas Neuem rollenspielerisch zu erfahren.
Komplexität. Mein Wunsch-Fantasy-Setting ist so komplex, dass ich das Gefühl habe, es lohnt sich, darin eine Langzeit-Kampagne zu spielen. Ich möchte viele kleine liebevolle Details erfahren und Zusammenhänge aufdecken, die mir nach einigen Abenteuern ein fasziniertes “Ahhh!” entlocken. Ich möchte Hintergründe erforschen, die historisch, kulturell und mythologisch verwoben sind.
Graustufen. Eine klare Definition von Gut und Böse ist im Fantasy-Genre nie verkehrt, aber meine Wunsch-Fantasy-Welt bietet mir Möglichkeiten, dieses Schema aufzubrechen. Vielleicht entdecke ich autoritäre Züge in der Volksreligion oder es gibt eine gehasste Minderheit, die das gar nicht verdient hat. Ich würde nicht so weit gehen, meine Lieblings-Welt “Dark & Gritty” zu nennen, aber wo Licht ist, darf auch Schatten sein.
Größe und Freiheit. Havena-Beilunk in 14 Tagen? Nein danke. Meine Wunsch-Fantasywelt darf ruhig so groß wie Nordamerika sein und mich über wochenlange Reisen von hier nach dort schieben. Ich möchte Platz haben für viele Völker, Stämme, Dörfer, unerforschte Gebiete, ich will mich austoben können und nicht jeden Hektar kartografiert und katalogisiert im Kataster vorfinden. Meine Wunsch-Welt bietet viel, aber sie lässt mir ebenso viel Freiraum als Architekt meiner Abenteuer!
Kompaktheit. Ich habe keine Lust, mich durch Enzyklopädien zu mühen, um meine Wunsch-Fantasy zu spielen. Ich möchte die relevanten Kapitel schnell finden und dann nach der Lektüre von 2 Seiten zu Rasse und Volkszugehörigkeit ins Spiel starten können. Als Spielleiter finde ich natürlich ungleich mehr an Informationen, aber auch die sollten nicht zu tief ins Detail gehen. Wie der zweite Baron von links unten heißt und ob der Wald auf der Karte ein Mischwald oder Nadelwald ist – who cares.
Dezente Magie. In meiner Wunsch-Fantasy verkaufen keine Händler am Markt Elixiere, und der König wird auch nicht von einem Leibmagier beschützt, der ihn nach Attentaten wieder zum Leben erweckt. Im Gegenteil: Magie soll etwas Besonderes, Seltenes, Ominöses sein! Etwas, das Angst und Ehrfurcht erzeugt, weil es im Verborgenen wirkt. Magier sollen nicht mit Zauberstäben und spitzen Hüten herumlaufen (würg), sondern Mittel und Wege finden, sich mit ihren Fähigkeiten subtil in die Gesellschaft einzufügen.
Vielseitigkeit. Ich möchte mir auch von meiner Wunsch-Fantasy-Welt nicht auf Dauer vorschreiben lassen, wie und was ich dort spielen kann. Ich möchte Kulissen zu verschiedensten Arten von Abenteuern vorfinden. Vielseitigkeit ist eine der großen Stärken von Fantasy. Ich möchte “Name der Rose”-Detektivabenteuer ebenso spielen können wie ein “Legend of the Seeker”-Epos. Ich möchte als Pirat auf Schatzsuche gehen oder vielleicht eine Expedition ins Land der Drachen leiten. Kurz gesagt: Ich will eine Vielfalt der Kulturen und Subgenres.
Wie, ein Setting, das alle diese Punkte erfüllt, gibt’s nicht? Dann wartet noch einige Tage bis zum offiziellen Release von Araclia. Nur bei AceOfDice und im gut sortierten Fachhandel. 😉
Und welche Faktoren machen euer Wunsch-Fantasy-Setting aus? Gibt es bereits eines, das diese Anforderungen erfüllt, oder existiert es nur in eurer Vorstellung?
Ist das etwa “nur” ein schamloser Araclia-Werbeartikel? 😀 Ansonsten decken sich deine Vorlieben eines klassisch angehauchten Fantasy-Settings ziemlich mit den meinen. Wobei ich nach all den Jahren noch nicht so Orks, Zwerge und Elfen überdrüssig bin. Diese “Klassiker” sind halt für mich quasi Standards wie Menschen bzw. können ja auch mit neuen Hintergründen interessanter gestaltet werden (oder man verzichtet auf die verschiedenen Menschenvölker/-kulturen und nimmt dafür eben die typischen Rassen).
Ich mag eine schön fantastische Fauna, aber da stellt sich für mich oft auch ein Plausibilitätsproblem, wenn bizarre und/oder riesige Monstren die Wildnis durchstreifen, aber irgendwie nur sehr selten mit der Zivilisation in Kontakt kommen. Aus diesem Grund ist eine reduziertere Magie auch handhabbaer – je mächtiger Zauberer ja werden, desto problematischer werden einfache Dinge (du schriebst ja vom Königsmord).
Ob es mein Lieblingssetting schon gibt, weiß ich übrigens gar nicht, weil ich schon länger den Überblick über die bekannten und unbekannteren Rollenspielsettings verloren habe.
Ich denke, die Anzahl der wirklich großen, breit angelegten Fantasy-Settings ist durchaus überschaubar. Und ja, es ist auch ein schamloser Araclia-Werbeartikel, zumal ich mir mit dieser Veröffentlichung natürlich selbst einen Wunsch erfüllt habe. 🙂
Mmmmmmmmmmmh. Mal schauen.
MA-Prägung: Check
Kein EDO: Och nö. Ich liebe Zwerge. Aber sie sollten zwergisch sein und keine Lilliputanersäufer mit schlechten Manieren. Dito der Rest. Ne, EDO paßt schon, wenn *richtig* gemacht ist.
Neue Rassen: Sind dann uberflüssig. Die sind erfahrungsgemäß eh etnweder zu abgespaced oder eben EDO in lustiger Verkleidung.
Komplexität: Check
Graustufen: Ja, aber für schwache Charaktere – mit dem Erwerb von Macht zwingt Dich die Welt immer mehr dazu, Dich zu entscheiden. Neutral ist ein Euphemismus für kann sich nicht entscheiden… halber Check
Größe und Freiheit: Check
Kompaktheit: Check. For Starters. Das wächst dann ziemlich.
Dezente Magie: Check
Vielseitigkeit: Check
Ha, hättest Du was gesagt, hättest mein Zeug haben können. 😀 Ne, im Ernst. Araclia scheint mir ein Produkt, das genau auf meiner Linie liegt, das ich aber gar nicht brauche, weil ich das selber mache. Hihi. Natürlich werd ichs im Lauf des Jahres dann kaufen und vielleicht rezensieren.
EDO in lustiger Verkleidung hat was für sich. Ich denke aber, man sollte nicht unterschätzen, wie angenehm und erfrischend es für Spieler sein kann, aus den bisher dagewesenen archetypischen Rassen auszubrechen und neues Terrain zu beschreiten. Ich persönlich würde mich nicht trauen einen Elfen oder Zwergen zu spielen, ohne befürchten zu müssen, Tolkien- oder DSA-sche Vorgaben zu verletzen. Da sind neue Rassen natürlich leichter.
> Mittelalterliche Prägung.
Zum einen spiele ich gerade mit großer Begeisterung ein Fäntelaltersetting, zum anderen kann ich mich aber auch für Fantasy-Renaissance erwärmen.
> Keine Elfen, Zwerge und Orks.
Doch! 🙂
> Komplexität.
Klar! Wobei das für mich eine Gratwanderung ist. Aventurien ist definitiv viel zu komplex, Midgard (as-is) hingegen zu simpel gestrickt. Ich kann noch nicht sagen, wo für mich die Grenze verlaufen soll.
> Graustufen.
Ja, das macht’s interessanter.
> Größe und Freiheit.
Ja.
> Kompaktheit.
Das widerspricht etwas dem Wunsch nach Größe und Komplexität 😉
> Dezente Magie.
Ach, da bin ich indifferent. High Fantasy wie Earthdawn hat für mich denselben Reiz wie Ars Magica.
> Araclia
Wäre ja schlimm, wenn Dein eigenes Setting nicht so wäre, wie Du’s für richtig hältst 🙂
Mein aktuelles Lieblingssetting ist Splittermond – wohlgemerkt: das Setting, nicht das Regelwerk 😉
Ich muss präzisieren: Kompaktheit bezog sich auf die Beschreibung. Ich glaube, ein Setting kann komplex sein, aber dennoch kompakt beschrieben sein. Ich habe das mit Araclia versucht; mal sehen, ob das nur für mich funktioniert hat oder auch für andere so hinkommt.
Also mal überlegen…
Der erste kontroverse Punkt wäre für mich schon EDO.
Ich mag EDO, schätze es sehr, und bin es nach fast 30 Jahren Rollenspiel immer noch nicht überdrüssig.
Daher wäre für mich ein Fantasy-Setting ohne Elfen, Zwerge und Orks kein Wunsch-Setting oder auf Dauer gern bespielte Kampagnen-Welt.
Manchmal habe ich sogar den Eindruck, das manche Welten-Designer mit Gewalt und auf Biegen und Brechen eine nicht-EDO-Welt erschaffen, nur um als anders, besser oder gar innovativ zu erscheinen.
Aventurien hat für mich immer noch seinen Reiz, obwohl ‘mein’ Aventurien streckenweise nichts mehr mit dem offiziellen Aventurien des aktuellen Metaplots zu tun hat.
Caera ist ein Setting, in das ich mich verliebt habe. Vor allem weil es EDO ist. Aber noch unbeschrieben, jungfräulich, frei. Und belebt durch eine wunderbar agile, phantasievolle und kreative Community.
Es hat Ähnlichkeiten mit Aventurien, und ist doch ganz anders. 🙂
Dann wäre da noch neu Lorakis. Eine Welt, bei denen die Redakteure dem Mainstream folgten, also EDO mit einigen zusätzlichen Völkern. Da bin ich gespannt.
Hier interessiert mich die Weite der Welt, da die Macher nicht wie bei Aventurien oder Caera versucht haben, alles in einen Schuhkarton zu quetschen.
Ich würde sagen, die drei kommen meinem Wunsch-Fantasy-Setting sehr nahe.
100 % wird es nie geben, bei keinem, denke ich.
Wie sagte doch der berühmte Mathematicus Allabra aus Westheim am Langen Fluß: ‘Für die letzten 20 Teile der zu erreichend gewünschten 100 Teile eines Zieles sind 80 Teile der 100 Teile des angesetzten Aufwands erforderlich.’ 😉
Araclia wird also nicht zu meinen primär bespielten Welten gehören, was aber nicht heißt, das ich mal keinen Blick reinwerfe. Neugierig bin ich schon, und oft findet man da ja die eine oder andere brauchbare Anregung.
Ich bin mal optimistisch und glaube, derer wirst du viele finden. Schade, dass für dich EDO so eine conditio sine qua non ist. Aber dass das für viele Leute nicht wegzudenken ist, dessen war ich mir bewusst. Ist zwar schade, dass das für dich ein ko-Kriterium ist, aber andererseits ist das Schöne daran, ein independent-Autor zu sein, dass man auch mal nicht ganz so ausgetretene Pfade beschreitet. Bei mir kann ich also mit voller Überzeugung sagen, dass Araclia nicht EDO gestrichen hat, um daraus einen USP zu machen, sondern weil es meine ganz persönliche Überzeugung ist, dass das zu einem anderen – für manche vielleicht sogar besseren – Spielgefühl führt.
Bei mir hat sich das stark gewandelt über die Jahre. Den größten Einfluss hatte sicher meine Entdeckung der Sword & Sorcery-Literatur und Wiederholungen von Fantasyfilmen der 80er im deutschen TV der frühen 90er.
Mittlerweile bin ich an einem Punkt wo folgende Motive immer wiederkehren:
– Menschen sind die (bei weitem) dominierende Gattung, aber es existiert so ziemlich alles, was das Spiel benötigt
– ein multiversales Konzept im Stile eines Michael Moorcock, wo Platz für andere Welten/Dimensionen ist und der “Eternal Struggle” zwischen Ordnung und Chaos herrscht
– Eine Verbindung mit unserer Welt. Meine Heimkampagne, die ich seit Jahren pflege, ist sowohl entfernteste Zukunft als auch längst vergessene Vergangenheit unserer Erde – eine kosmische Anomalie
– Mit Bedacht gestreute Science Fiction Elemente
– Raue Lande, dunkle Städte, Lichtpunkte von Zivilisation in einem erbarmungslosen Milieu
Sword & Sorcery mit Gonzo-Breitseite also 🙂
Kuriose Mischung. Faszinierend.
Wie du siehst ist das ein breiter Rahmen in dem aber noch viel passieren kann. Die Konzepte selbst sind allerdings recht spezifisch, was mir ermöglicht, immer wieder Kurzkampgnen in anderen Genres/Welten zu spielen, die sich krass von meiner Vorstellung einer idealen Kampagnenwelt unterscheiden. Allein um der Abwechslung willen.
Eine multiversal-verknüpfte Welt erlaubt Spielereien mit Zeit & Raum und die Einführung von Absurditäten, die, sofern gezielt eingesetzt, für so manche Aha!-Effekte sorgen können. Nur so kann ich erklären, warum meine Elfen einst ein Volk von Sternenfahrern waren oder warum Komon-Tarr nichts anderes als eine völlig übertriebene Extrapolation unserer Erde ist.
An irgendeinem Punkt habe ich “gelernt” Konsistenz im Mikro- anstatt Makrobereich zu suchen und für meinen Spielstil hat dies so ziemlich alles bedeutet. Ich habe also die größte Verehrung für minutiös durchdachte Welten á la Mittelerde, finde für mein SPIEL aber besser, dass meine westliche Hauptstadt eine Art libertäres Elsaß-Lothringen ist, während schon wenige Kilometer davon entfernt pure Anarchie mit lokalen Baronien und dergleichen herrscht.