“Seid Ihr wirr im Kopf, mein Herr?” So oder ähnlich klingt es in meinen Fantasy-Runden, wenn NSCs und SCs mit einander sprechen. Das geschwollene “Ihr”, “Euch”, “Euer” ist mir nach fast 30 Jahren Rollenspielen zur zweiten Natur geworden. Aber es fällt nicht allen leicht.
Gerade in meinen jüngeren Runden tendieren einige zum weltlichen “Sie” und “Ihnen”. Von der stilistischen Diskrepanz ganz abgesehen, finde ich letzteres – subjektiv – geradezu abscheulich. Damit klingt jeder Besuch am Markplatz wie ein Gespräch mit meinem Bankberater (“Nehmen Sie sich ruhig Zeit. Gefällt Ihnen, was Sie sehen?”) Und jedes investigative Abenteuer fühlt sich wie ein weitere Spinoff von CSI an: “Wo sind Sie letzte Nacht gewesen? Haben Sie einen Zeugen? Ist das Ihr Dolch?” Brrr.
Über Geschmack lässt sich ja angeblich nicht streiten, aber ich sehe trotzdem einige Vorteile des schwülstigen “Ihr”, “Euch”, “Euer”:
- Es erzeugt einen stärkeren Respekt vor dem Gegenüber. Den erfordert natürlich nicht jede Situation, aber so generell beobachte ich im Rollenspiel immer wieder, dass die SCs dazu tendieren, die NSCs ohnehin nicht als gleichwertig zu betrachten. Eine etwas “steifere” Anrede kann da zumindest ein wenig ausgleichend wirken.
- Im Dialogfluss ergibt sich eine blumigere Sprache. Es kommt zur Verwendung von Begriffen und Metaphern, die in unserer Alltagssprache selten geworden sind. Nun muss Fantasy-Rollenspiel wahrlich nicht zum schwülstigen Shakespeare-Drama werden, aber die mit einer etwas anderen Sprechart verbundene “Otherwordliness” hilft doch ziemlich beim Eintauchen in die Spielwelt.
- Die Unterscheidung zwischen dem, was die Spieler sagen, und dem, was die Charaktere von sich geben, fällt deutlich leichter. (Obgleich ich ohnedies ein Fan davon bin, die Äußerungen der Spieler 1:1 auf die Charaktere zu übertragen, aber das ist eine andere Geschichte).
Letztlich frage ich mich, woher meine starke, fast schon emotionale Bindung an das “Ihr” und “Euch” eigentlich herrührt. Zweifellos gibt es Literatur, in der das anders gehandhabt wird, aber in den großen Repräsentanten des Genres – Nibelungensage, Ivanhoe, Excalibur, Die Braut des Prinzen, Der Hofnarr… – herrscht (iirc) konsequent das “Ihr” und “Euch” vor. Möglicherweise liegt es daran.
Solltet IHR also noch nicht das IHR verwenden, dann probiert es mal aus und lasst mich wissen, wie es sich für EUCH anfühlt. 🙂
Brrrrr, das sind dann die Spieler, die die Leute auch in den 20er-Jahren mit “Ihr” ansprechen. 😉
Für mich fühlt sich das “Ihr” und “Euch” nervtötend, übertrieben, idiotisch und falsch an, und ich neige – nach einer verwarnung – dazu, Spieler die das durchziehen auch zu bestrafen. Schließlich leite ich kein DSA wo sowas ja vielleicht noch zum guten Ton gehören mag.
Klingt gefährlich, bei dir mitzuspielen. 😉 Aber im Ernst: Wieso hat das deiner Ansicht nach etwas mit DSA zu tun?
Weil es über DSA und Fantelaltermärkte ins allgemeine Rollenspiel übergeschwappt ist, und ich das in meiner Antiken Fantasywelt nicht haben will.
+1 für den Artikel, *wenn das Ihr ins Setting passt*.
Übertrieben schwülstig ist es nur, wenn sich auch Freunde und Verwandte ihrzen, das ist natürlich Nonsens, ebenso wie eine allgemeine Marktsprech-Invasion. In vielen Hintergründen und Konstellationen passt das “Ihr” auch gar nicht nicht rein – Freunde, Schotten und Römer etwa sprechen sich mit “Du” an. Aber in klassischer Fantasy, zu Höhergestellten… klar. Da ihrzt man sich.
Danke für den Hinweis. Natürlich geht es nicht darum, den Bettler am Straßenrand oder den Räuberhauptmann zu “Ihrzen”. Das wäre dann echt daneben. Für solche Fälle gibt es immerhin noch das Du-Wort, aber davon bin ich stillschweigend ausgegangen.
Ja, ich habe nichts gegen ein passendes “Ihr” oder “Euch”. Wer aber am Tisch mit Marktsprech anfängt (“So gebet, wohledle Herren und wohlfeile Damen, Eure Apellatio Maximalis indem Ihr Eure wohlgeformigten Afterballen aneinander schlaget!”), bekommt – metaphorisch – den Kopf ins Klo gesteckt.
*ROTFL* :)))))
Als eine lanzenbrechende „Ihr/Euch“-Verfechterin im Fantasy-Setting fällt es mir eigentlich nicht schwer, dies konsequent in einer Spielrunde umzusetzen – und ja, ich glaube, dass es tatsächlich an dem Einfluss so mancher Spielfilme liegen mag. 😉
Allerdings wurde der Majestätsplural ja im Mittelalter (und auch später) prinzipiell bei der Anrede höher gestellter Personen verwendet und da Fantasy und Mittelalter ja stilistisch sehr stark ineinander verwoben sind, finde ich es absolut passend, diesen „Umgangston“ auch im Spiel zu pflegen (Siezen finde ich persönlich im Fantasy völlig ungewohnt) – es hat also meiner Meinung nach nicht wirklich mit dem Eintröpfeln von „Marktsprech“ zu tun, sondern ist ein sprachlicher Versuch, sich dem Setting anzupassen 🙂
Von zu viel abgehobenen Wurstel-Schnörkel-Sätzen in Gesprächen halte ich aber auch nichts – also muss ich Gottseidank nicht ins Klo 😉
… zumindest in meiner Runde nicht. 😉 Danke, Johanna, jetzt fühl’ ich mich nicht mehr ganz so allein mit meiner Lanze.
Spieler, die sowas wie Ihrzen versuchen, werden verprügelt und bewußtlos und ausgeraubt hinter den nächsten Mülleimer geworfen – meist nur In-Game… 😉 😛
Nee, aber die Gleichung Fantasy=Mitelalter stimmt mMn so nicht, jedenfalls nicht wenn man sich die zugrundelegenden Voraussetzungen zumindest bei D&Dvarianten anschaut. Für mich schwingt, in meiner Fantasy zumindest, eher Wild-West mit… von der Stimmung. Da paßt dann das Ihrzen und Euchen nicht wirklich… Jedem das seine.
Mmmh. Gerade das “Ihren”, das “Danke-Sai” fand ich ein großes Plus der deutschen Übersetzung von “Wolves of the Calla”. Und viel mehr Fantasy-Western geht kaum. Übrigens wird auch in Karl Mays Wildwestgeschichten fleißig geirrt, wenn ich mich nicht irre, Meschurs.
“geihrt” nicht “geirrt”. *tischkantebeiß*
“Ihr” statt “Sie” finde ich für Fäntelalter völlig passend und wünschenswert. Damit ist eine Einstimmung ins Setting schnell und billig zu haben – viel mehr darüber hinaus braucht es auch nicht. Abgesehen von Situationen, wo man bewusst übertreiben/persiflieren will, finde ich Marktsprech am Spieltisch gruselig. Dass eine Spielerin routinemäßig Marktsprech-Elemente einbaute, habe ich aber auch nur einmal erlebt. Die Anrede “Ihr” für sich genommen empfinde ich keineswegs als schwülstig.
“Sie” finde ich für Fäntelalter ebenso unpassend wie “Ihr” für moderne Settings. In einzelnen Subsettings des Fäntelalters, z.B. bei DSA Tulamiden (Pseudo-Arabien), Al’Anfa (antik-römische Anklänge) neige ich zum “Du”, kann aber auch mit dem allgemein eingeschliffenen “Ihr” leben. Im Subsetting Thorwaler (Pseudo-Wikinger) ist das allgemeine “Du” sogar Kanon.
Ich bekenne mich auch zum “ihrzen” – musste beim Warhammer neulich ermahnt werden, dass man seine Mitzwerge dutzt …
Ich könnte mir vorstellen, dass Zwerge nicht nur ihre Mitzwerge duzen. 🙂
Tja, beide Seiten haben was für sich – ich kann sowohl Rorschachhamser und Infernal Teddy verstehen, allerdings auch Dich und die Lanze, die Du gern brechen möchtest. Ich vermute, es ist ein wenig vom Setting abhängig. Grundsätzlich erinnert mich das “Ihrzen” (außer an Mittelaltermärkte) immer an DSA. Und das ist nicht gut, da ich für Spiel und Setting nichts übrig habe. Dennoch flutscht es mir sicherlich auch mal raus – und natürlich verwende ich es auch bewußt, denn angemessen ist es in bestimmten gesellschaftlichen Situationen durchaus (meist bei den von Dir genannten “höher gestellten” Personen). Das sich die Spielercharaktere untereinander so ansprechen, habe ich eigentlich nie gehört. Da wird dann fleißig geduzt.
Das es mir aber auch zu flappsig und “modern” werden kann, hat mir Wolfgang Krege mit seiner Neuübersetzung vom Hobbit und Herrn der Ringe gezeigt. Die neuen Fassungen würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen.
Schlimm, dass DSA offenbar mit so vielen Dingen assoziiert wird (und das nicht selten negativ), die eigentlich mit DSA nichts zu tun haben müssten…
Schön ist ja, dass man im Spanischen auch heute noch in dritter Person als Höflichkeitsform spricht.
“Hat Er meine Überweisung bereits erhalten?”
“Darf ich Ihr meinen Arm, mein Geleit anbieten?”
Ich hatte zwar Spanisch in der Schule, aber das ist mir so noch gar nicht aufgefallen. Interessant! Na bitte, Wasser auf meine Mühlen. 🙂 btw: Schön, dich hier zu haben, Andreas!