Auch wenn der Markt von D&D und DSA dominiert wird, gibt es dennoch ausreichend viele Systeme, mit denen sich eine neue Spielwelt bespielen lässt. Trotzdem sind die meisten Settings systemspezifisch ausgestaltet oder bringen überhaupt – Stichwort Splittermond – ein eigenes Regelsystem mit. Warum ist das so?
Auf der Pro-Seite steht die Konvergenz von System und Spiel. Sobald beides zu einer Einheit verschmilzt, bereichert das das Spielgefühl enorm. System does matter. Abstraktes Vermögensmanagement passt nicht zu einer Welt, in der Haushaltsführung und finanzieller Existenzkampf wichtig sind. Und spätestens Regeln für Tod und Wiedererweckung spießen sich nur allzu leicht mit dem, was eine Welt an Todesmythen vorsieht. Von der Wichtigkeit der Magietheorie für Rollenspiel und innere Logik der Welt will ich erst gar nicht reden.
Auf der Contra-Seite steht folgende ketzerische Überlegung: Wer kümmert sich denn tatsächlich um all das Zeug? Spielen die meisten Leute nicht ohnehin “nach Gutdünken”? Einiges spricht wohl dafür, dass das Hausregeln & Handwedeln gängige Praxis ist. Passt eine Regel nicht, wurscht, wird sie einfach ignoriert oder gefixt. Die oben beschworene Konvergenz von Regelsystem und Welt – wen kümmert sie wirklich? Sogar bei meinen ehemaligen Mitspielern, die es gewohnt waren, von mir mit höchst konvergenten Setting-System-Kombinationen verwöhnt zu werden, ist es mittlerweile üblich, einfach an den Schrauben eines bestehenden, wenn auch nicht optimalen Regelsystems zu drehen. Gedumpt wird das System erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht und kollektives Augenverdrehen zur Gewohnheit wird.
Ich selbst bin ein glühender Verfechter der Einheit von System und Welt, doch ich frage mich – auch in Hinblick auf meine zukünftigen Publikationen – wieviel Sinn es noch macht und wie es sich auch auf die im letzten Blogpost heiß diskutierte (Danke übrigens für die rege Teilnahme!) Zersplitterung unserer Community auswirken könnte, wenn mehr Settings von vornherein System- bzw. regelneutral präsentiert würden. Möglicherweise würden einige dieser Welten dann mehr gespielt (?). Ich persönlich fände einige D&D-Settings sehr reizvoll, habe sie aber nie gespielt, weil ich mich nicht dem Regelmoloch D&D ausliefern möchte, gleichzeitig mir aber auch nicht das Portieren in ein anderes System antun will.
Mit ARACLIA werde ich erstmals versuchen, ein Setting System-neutral zu präsentieren. Ich bin gespannt, ob und wie es mir gelingt, klassische Weltendetails wie Kreaturenwerte und spieltechnische Auswirkung von Giften, Kräutern und Krankheiten zu “neutralisieren” und ob das auch so gewürdigt wird wie ich mir das vorstelle. Aber was ist eure Meinung? Würdet ihr auch gerne mehr Welten regelneutral beschrieben sehen, und warum/nicht?
Ich mag es schon, wenn Regeln und Setting sinning und stimmig verzahnt sind (US-Amerikaner stören sich ja oft bei europäischen Brettspielen, dass das “Theme” bloß draufgeklatscht sei). Andererseits müssen sich Details und Besonderheiten einer Spielwelt nicht zwingend in alle Bereiche der Regeln auswirken.
Ich möchte im Zweifel – natürlich mit entsprechendem Aufwand – jedes System an andere Settings zumindest ähnlicher Art anpassen können. Dass sich ein wertelastiger Fantasy-Dungeoncrawler aber eher nicht in narrative Science-Fiction umbauen lässt, ist klar. Nur wenn das System schon den Austausch von mehr oder weniger klassischer Fantasy-Settings nicht mitmacht, ärgert mich das.
Ich würde argumentieren, dass deine Destiny-Spiele schon recht weitgehend neutral sind bzw. im Kern so angelegt sind. Dann fällt mir zum Thema noch GURPS oder auch D20 ein. Beide Ansätze waren doch gar nicht so unerfolgreich, oder?
Kommerziell ja, persönlich bin ich von beiden eher unbefriedigt. Wobei die Gurps-Quellenbände noch am ehesten in die Richtung gehen, die ich vor Augen habe.
Hmmm … wenn Setting und System gut harmonieren, bzw. letzteres das erstere gut abbildet, dann ist schon von einem Mehrwert zu sprechen. Das kann auch “Komplettregelwerken”, die eine Systemvorlage benutzen (Arcana Evolved redefiniert z.B. die d20-Regeln), gelingen. Die Chance auf Harmonie von Setting und Regeln ist auf jeden Fall besser, als wenn das Setting als Add-On zu einem bestehenden Regelwerk produziert wird.
Kampagnenwelten, die den “d20-Weg” einschlagen (also die Basisregeln durch Settingregeln modifizieren und das Setting so an das Zielsystem anpassen) haben einen großen Vorteil: Spieler des addressierten Systems haben alle relevanten Daten vorliegen.
Daraus ergibt sich auch gleich der Nachteil für Leute, die andere Regelgrundlagen bevorzugen: Konvertierungsarbeiten. Und diese müssen nicht nur den Settingtext, sondern auch die “Settingregeln” (s.o.) berücksichtigen, um nicht wichtige Settinginfos, die durch diese Regeln transportiert werden zu verlieren.
Systemfreie Weltbeschreibungen … da muss jeder ran zum Werte-/Regelbasteln. Wenn man eine Gruppe von Zielsystemen hat, dann kann der Designer den Spielrunden insofern helfen, als dass er ein paar grundlegende Infos einbaut. “Points of Light” von Goodman Games macht das so. Die in dem Heft beschriebenen Mini-Settings sind für die D&D-Familie (alte rote Box bis 4E) gedacht und geben editionsübergreifende Basiswerte an. Sowas braucht auch kaum Platz.
Was ich davon am liebsten mag? Keine Ahnung. Kommt auf die Regelpräferenzen drauf an.
Ob systemlose Settings die Zukunft sind: Von mir gibts dazu ein klares Nein!
Hier noch ein Link zu einer aktuellen Diskussion um den “d20-Weg”:
http://tanelorn.net/index.php/topic,86406.0.html
Ich denke, dass systemgebundene Settings den Vorteil haben, dass sie deutlich sichtbarer sind. Außerdem kann man sie gleich ohne Aufwand losspielen und selbst kleinste Nuancen des Spielgegühls anpassen. Das sind schon große Vorteile. Und über miese Regeln sieht man hierzulande ja bekanntermaßen leicht hinweg (s. DSA). Ich selbst habe mir ja gerade Schnutenbach zugelegt, weil ich die systemneutrale Idee prima finde und wünsche mir mehr davon. Man kann ja durchaus (in einem eigenen Buch?) eine Regelbasis mitliefern. Aber wenn man keine schlechten Regeln dabei und einfach ein gutes System dran basteln kann, ist das schon cool. Ich persönlich habe dabei aber drei Sorgen: Geht das dran basteln des Regelsystems wirklich mit vertretbarem Aufwand? Können eigene Regeln das Spielgefühl ausreichend gut transportieren? Und ist das System wirklich klar genug beschrieben und nicht nur reine Prosa, die man wer weiß wie interpretieren kann, weil der Autor kein Stück an eine Regelbasis gedacht hat?
Kann ich alles nachvollziehen. Bei Araclia werde ich – entweder im Buch als Anhang oder als separaten Download, weiß ich noch nicht – Regelbasis für Destiny und Portal mitliefern. Aber das Buch selbst soll sich neutral anfühlen. Deine Punkte werd’ ich dabei im Hinterkopf behalten. Thx!
Interessante Frage… ich bin der Ansicht, dass es beides geben sollte. Du zählst die Vorteile von Systemen aus Regeln + Setting ja auf, ich möchte noch ein gewichtiges weiteres dazufügen, und das wäre sowas wie “Kanon”. Heißt, das Spiel steht, die Spieler sind austauschbar. Man kann’s mit “allen” Leuten spielen, weil alle die gleichen Regeln für die gleiche Welt verwenden. Zumindest mehr oder weniger, aber über Hausregeln lässt sich leichter diskutieren (meistens…) als über einen Wechsel des Regelsystems.
Ich finde die Idee von regelunabhängigen sehr reizvoll, und mir als Erstmal-Nur-Regeln-Schreiber käme eine größere Vielzahl an solchen natürlich entgegen. Für Triakonta habe ich diesen Anspruch, dass sich damit beliebige Settings bespielen lassen, und sich der Aufwand an Zusatzregeln in Grenzen hält – allerdings kommt man nie um einige Festlegungen und Anpassungen drum rum. Unser Testgelände ist ja ein antikes Mittelmeersetting, aber wir haben letztes Weihnachten auch eine recht lange Partie Cthulhu damit gespielt, wobei es etwa zwei bis drei Tage gedauert hat (nicht ganz Vollzeit, natürlich), den Cthulhu-Setting-Regel-Teil zusammenzuzimmern – inklusive Fertigkeitslisten, zusammengedampfter Vor- und Nachteile, Geistiger Stabilität, neudefinierter Sekundärer Fertigkeiten sowie Waffen- und Rüstungswerten. Bei letzteren war der Trick z.B., eine einfache Konvertierungsformel für BRP-Cthulhu-Werte zu basteln, so dass man etwa das Pegasus-Waffenhandbuch benutzen konnte und nicht selbst ellenlange Wertelisten festlegen musste.
Für mich persönlich ist die Sache jedenfalls sehr spannend, da ich neben den von dir genannten Vorteilen eben auch den großen Nachteil von Regel-Setting-Komplettpaketen sehe: sind die Regeln Mist, fällt meistens auch das Setting unten durch bei der Gruppe… und das ist oft wirklich schade. Zumal ich der Meinung bin, dass es in der hiesigen Szene mehr gute Hintergrund- als Regelautoren gibt…
Regelneutral bei einer ganzen Welt ist eher nicht mein Ding. Lieber von vornerein mit einem der verfügbaren Systeme verknüpfen. Manche coole Ideen gehören einfach auch regeltechnisch eingebettet und können nicht mit jedem beliebigen System umgesetzt werden. Kurzum, lieber mit OGL, DS, SaWo verknüpfen als komplett regelneutral.
Ein Teil von mir wünscht sich, daß Spielwelten regelneutral werden und die systemtechnische Verzahnung dann als “Add-On” nachgeliefert wird. Ich denke nämlich, daß könnte funktionieren. Bei Wolfgang Baur’s MIDGARD z.B. ist das Setting selbst neutral, im Anhang finden sich dann Pathfinder- und AGE-Werte. Es gibt sicher noch andere Beispiele, dies fiel mir nur gerade ein.
Aber, wie Klaue schon treffend bemerkte, manchmal gibt es bestimmte Eigenheiten in der Spielwelt, die sich nicht mit jedem Spielsystem gleich gut abbilden lassen. Das ist dann ein Manko, das die Spielwelt selbst blasser machen könnte, als sie es verdient hätte. Und da wünsche ich mir dann doch, daß eine Spielwelt möglichst gut an ein bestehendes System angepaßt und darauf abgestimmt wird. Um mal zwei andere Beispiele zu nennen – recht populäre – wo Spielsystem und Welt überhaupt nicht harmonieren wollten: die TSR-Welten “Dark Sun” und “Birthright”, die beide unglaublich stimmungsvoll sind, aber mit AD&D einfach nicht angemessen umgesetzt werden können. Gerade bei “Dark Sun” beißen sich oft Fluff und Crunch – das eine will das andere einfach nicht richtig stützen, und umgekehrt.
Ich bin durchaus gespannt auf Dein “Araclia”, aber im Hinterkopf hat sich bei mir schon festgesetzt, daß es eine Portal-Spielwelt wird – nicht eine für DS, Pathfinder oder RuneQuest. Und ich denke auch nicht, daß ich sie mit einem anderen System als PORTAL bespielen werde. Nimmt man die Schwemme an Fantasy-Settings und -welten, dann ist am Ende vielleicht doch die Sichtbarkeit und Wiedererkennung vom damit gekoppelten Spielsystem abhängig. Ich glaube einfach, daß sie es sonst in der enormen Vielfalt zu schwer hat…