Es war Mittag des nächsten Tages.
Der Heiler mit der schwammigen Nase hatte gegen gutes Gold Leartos Bisswunden desinfiziert und, wo nötig, genäht und Struggel ein Gebräu gegen seine Halsschmerzen verordnet. In allem, so befand er, war es ein Wunder, dass sie noch lebten.
Über ein Wunder sprachen sie auch mit der Hohepriesterin und deren Mutter, die die bislang ergebnislose Ekstase beendeten, als ihnen die jüngsten Ereignisse zu Ohren kamen. Mit heiserer Stimme erinnerte Struggel, nicht ohne Stolz, daran, dass er es gewesen war, der Kardia von Anfang an verdächtigt hatte; nicht wegen ihrer Magie, sondern ob der Genugtuung, die sich an jenem Abend in ihrem Gesicht gespiegelt und ganz und gar nicht zum Scheitern des Mirakels gepasst hatte. Er gab allerdings zu, dass er bis zu dem Zeitpunkt, da sie ihr in ihrem geheimen Labor gegenüber standen, keine Ahnung gehabt hatte, dass das Gold von Menschenhand aus dem Fluss gefiltert worden war.
Die Hohepriesterin bestätigte, dass Lyreya in vielen heiligen Schriften als Hüterin des Geheimnisses ewiger Jugend erwähnt werde. Dass Kardia aber geglaubt hatte, diese durch den Diebstahl des Goldes erlangen zu können, zeige, wie verbittert sie gewesen war und wie wenig sie die Göttin tatsächlich verstanden hatte.
Als die beiden Helden sich anschickten, den Tempel zu verlassen, hielt die Priesterin Struggel noch auf ein Wort unter vier Augen zurück: “Ich habe Eurer Schilderung der Ereignisse aufmerksam gelauscht, Struggel vom Volk der Trosh. Ihr habt Euch mit dem Wesen der Göttin vertraut gemacht, ihre Gaben zu nutzen gelernt und ihre Legenden erforscht. Ihr habt eine schwere Prüfung gemeistert und, wie ich glaube, Euren Glauben gefunden.”
Struggel antwortete nicht. Er starrte einige Herzschläge lang ausdruckslos, dann wandte er sich abrupt um und zappelte Learto hinterher.
Beide kamen überein, dass sie nichts mehr in Goldfall hielt, und so packten sie noch in derselben Stunde ihre sieben Sachen. Als sie die Taverne verließen, wartete der Dorfsprecher Gorwin auf dem frisch angeschneiten Dorfplatz auf sie, um ihnen händeschüttelnd zu danken und sich bei Struggel für den Argwohn, den man ihm entgegen gebracht hatte, zu entschuldigen. Irgendwo im Hintergrund stand der Bärtige und nickte.
Als sie die Dorfmitte zufrieden verließen, hob hinter ihnen Gemurmel an. Sie wandten sich um und sahen, wie Leute durcheinander liefen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich eine Neuigkeit, und binnen weniger Augenblicke bildete sich beim Wasserfall eine riesige Menschenmenge, deren Jubel und Geschrei zwischen den Felswänden widerhallten. Struggel zog Learto an den Beinlingen und verlangte, seinen Stolz außer Acht lassend, dass er ihn augenblicklich hoch hob, damit auch er sehen könne, was da vor sich ging. Als Learto es sah, strahlte er über das ganze Gesicht und entsprach der Bitte nur allzu gerne. Von den Schultern des Schmiedes aus war Struggel Zeuge, wie sich helle, glänzende Strähnen im Wasser bildeten, zuerst nur vereinzelt, dann immer mehr und immer öfter. Die Begeisterung der Leute kannte kaum Grenzen. Sie lachten, weinten und schrien: “Das Wunder! Kommt und seht! Das Wunder!!”, und die Sonne erreichte gerade ihren höchsten Stand, als sich die goldenen Fäden verdichteten und schließlich, mit einem gewaltigen Rauschen, wunderbares Gold aus dem Goldfall schwallte.
Struggels kleiner Mund stand weit offen, und er blinzelte gegen die Strahlen der Sonne, die sich in der gleißenden Fontäne brachen und von Lyreyas Gnade zeugten.
Ende
Sehr geil. Tolle Idee mit der Geschichte als Adventskalender und auch prima geschoben. Hat sehr viel Spaß gemacht.
Danke, Jan! Das freut mich sehr!
Mein Statpress zeigt eine stattliche 3-stellige Anzahl an Lesern an, die wirklich konsequent jeden Tag mitgelesen haben. Dafür ein herzliches Dankeschön!
Wow!