Unsanft plumpste Struggel auf den Marmorboden.
Ein orangefarbener Lichtkegel fiel durch eine gläserne Kuppel direkt auf ihn, und ringsum standen mächtige Alabastersäulen. Seidentücher und Perlenketten bewegten sich im sanften Luftzug, Windspiele verbreiteten ätherische Klänge, und Räucherschalen verströmten blumigen Duft.
Die Dörfler waren immer noch erzürnt, doch seit sie die Schwelle des Tempels übertreten hatten, fluchten sie über ihn wenigstens nur noch im Flüstern. Nach dem, was Struggel mitbekommen hatte, würde nun die Hohepriesterin dieser Göttin über ihn richten. Ihn schien das nicht besonders zu kümmern, ebenso wenig wie die anklagenden Blicke der Dörfler, denn Struggel begann schon bald, sein Interesse für die Mosaike und Reliefs zu entdecken und zwischen ihnen herumzuwandern.
„Heda, Freundchen, hier geblieben!“, durchbrach der Bärtige die Stille und versperrte ihm breitbeinig den Weg. Die anderen bildeten einen Halbkreis.
Struggel lächelte konfus – er hatte nicht vorgehabt zu fliehen – und kehrte folgsam in die Mitte der Cella zurück, als ein golddurchwirktes Seidentuch zur Seite glitt und eine leicht bekleidete Frau hindurch trat.
„Ah!“, rief er und zappelte auf sie zu, „endlich jemand, der hier was zu sagen hat. Also, es verhält sich folgendermaßen, Frau Hohepriesterin: Ich bin Astruggelaniunkagelush vom Volk der Trosh und begleite lediglich einen Freund auf dieser Pilgerreise. Ich hatte nicht vor, etwas Böses zu tun, aber all das Gerede von Gold und… was denn??“
Die Tempeldienerin machte einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf ein Mädchen frei, das noch viel hübscher war. Sie stand an der Schwelle zum Frausein und hatte ein höchst bezauberndes Gesicht. Sie trug ein mit Goldfäden und Edelsteinen durchwirktes Kleidungsstück, das ihre Figur bis ins kleinste Detail erahnen ließ und bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin. Ihre goldenen Locken schwangen im Rhythmus ihrer Schritte. Nur der Ausdruck ihres Gesichts trübte ihre Vollkommenheit: eine deutlich erkennbare Miene der Enttäuschung und Geringschätzung.
„Ich bin die Hohepriesterin dieses Tempels“, sagte sie mit einer Stimme, die zwar kindlich, aber gewohnt war, gehört zu werden, „und Ihr seid derjenige, der den heiligen Felsen beschädigte. Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?“
Struggel stotterte: „Ich, ähm, es, aber, verzeiht, Frau Hohepriesterin, aber ich wollte nur die Ursache dieses Goldregens finden.“
„Das Gold ist ein wundersames Geschenk unserer Göttin. Da gibt es für Euch nichts zu finden.“
„J-ja ja, ich weiß, aber, seht Ihr, ich bin vom Volk der Trosh und wir Trosh glauben nicht an Eure Götter. Dafür kennen wir uns sehr gut aus mit Steinen und Höhlen und Quellen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine andere Ursache gibt und ihr lieben Menschen da einem großen Irrtum unterliegt… he he.“
Er grinste verlegen, doch die Miene der Hohepriesterin verfinsterte sich, und der unterdrückte Zorn der Dörfler steuerte gerade auf einen neuen Höhepunkt zu. Der Bärtige schlug zornig mit der Faust in seine Hand, und eine der Frauen begann erschüttert zu weinen.
Die Hohepriesterin gebot den Dörflern mit einer Handbewegung, Ruhe zu bewahren. „Was Ihr da sagt, kleiner Mann, verletzt uns zutiefst. Wie könnt Ihr so selbstsüchtig sein! Eure Zweifel sind wie ein Messer im Leib unseres Glaubens. Und damit nicht genug, ihr zerstört auch mutwillig das, was uns heilig ist!“
Struggel trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich fand immerhin heraus, Frau Hohepriesterin, dass es sich um Mankusgalganit handelt! Noch dazu sehr jungen! Dieses Gestein, müsst Ihr wissen, ist dafür bekannt, Goldadern hervorzubringen. Manchmal bilden sich auch Dämpfe von Mankurandilum im Inneren, und ich habe den starken Verdacht, dass diese Dämpfe mit den Goldadern insofern reagieren…“
„Genug!“, herrschte sie ihn an.
Jede Bewegung, jedes Flüstern im Tempel erstarb jäh; nur ihre Stimme echote lange zwischen den Alabastersäulen.
Struggels Kinn zitterte.
Eine Minute verging in absolutem Schweigen, ehe einer der Männer sich zaghaft erkundigte, was denn nun mit dem Trosh zu tun sei.
Die junge Hohepriesterin hatte lange nichts gesagt und erwachte wie aus einem Tagtraum. Sie blickte mitleidig in Struggels Glubschaugen. „Dieser hier ist nicht zu retten. Ein verzweifeltes Wesen, auf der Suche nach Geborgenheit, doch er hat jeden Glauben verloren. Es ist der Wille der Göttin, ihn sich selbst zu überlassen. Glaubt mir: Er, der er nicht zu glauben im Stande ist, hat nicht die Macht, das zu zerstören, was uns heilig ist.“
Sie wandte sich zu den Dörflern und schenkte ihnen ein melancholisches Lächeln. „Geht zurück, bringt den Leuten Freude, Spiel und Tanz. Der Trosh ist nicht euer Belang.“ Zu Struggel gewandt sagte sie mit trauriger Miene: „Er ist niemandes Belang.“
Dann drehte sie sich um und verließ die Cella mit langsamen Schritten.
Die Dörfler murmelten eine Zeitlang durcheinander und bedachten ihn mit finsteren Blicken, ehe sie nach draußen gingen. Der Bärtige hob zum Abschied eine buschige Augenbraue und schlug noch einmal mit der rechten Faust in die linke Hand.
Schließlich fiel Struggels Blick auf Learto. Er hatte hinter den Dörflern gestanden und den letzten Teil des Gesprächs betreten verfolgt.
Struggel schlurfte zu ihm und blinzelte ratlos, doch der Schmied schüttelte den Kopf. Dann legte er seinem kleinen Freund die Hand auf die Schulter und schob ihn sanft nach draußen.
Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!