Ich weiß nicht, ob es das von manchen als esoterisch angesehene “Gesetz des Anfangs” wirklich gibt, aber vom Gefühl her würde ich meinen, ja. Es besagt sinngemäß und stark vereinfacht, dass sich eine Sache so entwickelt wie sie beginnt. Sollte dem so sein, dann bedeutet das im Bereich des Rollenspiels, dass man vor allem in das erste Abenteuer (einer neuen Runde, einer neuen Kampagne etc.) viel Energie investieren sollte. In ihm verdichten sich Grundhaltung, Motivation, Tenor und Thema der Kampagne und der erste Eindruck, den die Charaktere auf sich selbst und andere machen.
Motivation im ersten Abenteuer. Ein Punkt, den ich schon öfter beobachtet habe, ist, dass die Spieler – zumindest bei dramatischen Kampagnen – bei ihrem Charakter abgeholt werden wollen. SL sollten nicht davon ausgehen, dass die Spieler von sich aus mitziehen. Sogar dann, wenn sie voll dabei sein wollen, könnte es passieren, dass sie von ihrem Charakter ausgebremst werden, wenn der sich nicht richtig motiviert sieht. Da helfen alle XP dieser Welt nicht und auch nicht die Aussicht, irgend einen Schwarzmagier zu erledigen, der irgendein Dorf terrorisiert. Wenn die Kampagne ordentlich ziehen soll, dann müssen die Charaktere durch persönliche Involvierung bewegt werden, z.B. dadurch, dass der Schwarzmagier ein Familiengeheimnis eines der SCs kennt, dadurch, dass einer der SCs Inquisitor ist oder ähnliches. Solche Motivationen sollten vor allem im ersten Abenteuer, am besten bereits im ersten Drittel, eingebaut werden.
Spuren auslegen. Vor allem in Sandbox- und anderen eher offenen Kampagnenspielen sollte das erste Abenteuer ausreichend Aufhänger beinhalten, damit die SCs für den weiteren Kampagnenverlauf aus mehreren Verlaufsvarianten wählen können. Wenn sie immer nur einer Karotte hinterherhecheln, sind wir bald beim Railroading, das zwar auch seine Stärken hat, aber nicht jedermanns Sache ist. Biete ich ihnen aber mehrere Karotten an, dann können sie frei entscheiden, welchen Handlungsfaden sie aufgreifen. Das ist natürlich mehr Arbeit für den SL, da er diese Fäden zumindest im Ansatz bereits durchdacht haben muss. Aber gerade im ersten Abenteuer lohnt sich das, weil es ein nachhaltiges Gefühl von Entscheidungsfreiheit und Dynamik schafft.
Erster Eindruck. Auch Spielercharaktere werden sehr schnell in einer bestimmten Weise wahrgenommen und schubladisiert. Wer also in die richtige Schublade gesteckt werden will, sollte sich die Mühe machen, seinen SC im ersten Abenteuer so überzeugend, plausibel und einzigartig wie möglich zu verkörpern. Design-in-play-Spieler können zu Beginn natürlich noch nicht mit derselben “Persönlichkeitsdichte” aufwarten wie Design-at-start-Spieler und haben es darob eventuell etwas schwerer. Wer aber leichtfertig im ersten Abenteuer ein graues Abziehbild oder eine Persiflage seiner selbst spielt, wird sich davon in den seltensten Fällen erholen.
Nicht unerwähnt muss in diesem Zusammenhang die Aufgabe des SL bleiben, den Charakteren das passende Forum für ihre erste Darstellung einzuräumen. Gerade im ersten Abenteuer brauchen die Spieler Zeit, Raum und Anhaltspunkte, um ihre Charaktere für sich selbst zu finden und einprägsam darzustellen. So ein Forum zu schaffen, ist nicht einfach und mindestens Stoff für einen weiteren Artikel.
Nachdem ich vor Tagen wieder ein “erstes Abenteuer” hatte, kann ich dem nur beipflichten. Ich würde allerdings ergänzen, dass das Abholen der Charaktere auch von den Spielern selbst, vor dem Abenteuer, geschehen kann und soll. Eine gemeinsame Charaktererstellung nach einem “Group Template” ist da sehr sinnvoll: Es erstellt also nicht jeder für sich einen Charakter, der dann mühevoll in eine Gruppe gemurkst wird, sondern jeder Charakter wird von Anfang an in eine Gruppe eingebunden, deren Zusammensetzung zur Kampagne passt. Ich habe z.B. gesagt: Das hier ist ein investigatives Abenteuer, eure Charaktere sollten sich kennen und einen Grund haben, gemeinsam einem Fall nachzugehen, für den es auch einen Auftraggeber gibt. Damit waren alle Charaktere innerhalb von einer Szene mittendrin im Geschehen.
Ich bin überhaupt kein Verfechter davon, eine Kampagne mit einem Abenteuer zu starten, das die Gruppe zusammenbringt. Das ist in 90 von 100 Fällen mühsam, langweilig und nicht sehr wertvoll. Gerade weil das erste Abenteuer die Stimmung der Kampagne bestimmt, soll’s da auch gleich zur Sache gehen, da sollen Hooks ausgelegt werden, die alle ins Abenteuer katapultieren, und von denen manche dann erst im Finale aufgelöst werden. Das erzeugt Spannung und Motivation.
Umgekehrt würde mir so ein Zusammenbring-Abenteuer signalisieren: Jeder Spieler kümmert sich um den Hintergrund seines Charakters und muss schauen, dass er zu möglichst viel Spiel(leiter)zeit kommt.
Guter Punkt oder besser gesagt: gute Punkte.
Nur die 90%-Einschätzung teile ich nicht; da bin ich optimistischer.
Es kommt wahrscheinlich noch auf die Kampagne drauf an, aber es schweißt doch zusammen, wenn man z.B. nachts aus dem Schlaf gerissen wird und gemeinsam ein Dorf gegen eine Hand voll Monster verteidigen muss.
In den beiden Gruppen, in denen ich spiele, haben wir uns darauf geeinigt, dass die SCs dem SL entgegenkommen, indem sie im Normalfall Aufträge annehmen – zumindest den zweiten oder dritten. Auf menschlicher Ebene, weil der SL sich die Mühe gemacht hat, etwas vorzubereiten, er hat Zeit investiert und hat meistens nicht unendlich viele Ideen. Auf spieltechnischer Ebene, weil die Helden gute Helden sind, die anderen helfen möchten, und weil sie Abenteuer erleben wollen.
Da kommt es immer darauf an, was das Ziel der Kampagne ist. Wenn die Spieler eine böse Organisation bekämpfen sollen, dann rennen sie im Endeffekt einer Karotte hinterher, auch wenn diese mehrere Spitzen hat. Dann müssen sich die Spieler für eine Spitze entscheiden und danach zeigt sich, ob sie direkt an den Rest der Karotte kommen, oder erst die anderen Spitzen abknabbern müssen.
Es ist egal, ob man ein Design-at-start oder -in-play Typ ist, man sollte sich anfangs zumindest grob seinen Charakter überlegt haben und damit anfangen und weiterstricken. Und obwohl der erste Eindruck wichtig ist, ist – meiner Meinung nach – in einem Rollenspiel wichtiger, was im Laufe der Kampagne geschieht. Denn es profiliert eher, dass ein Charakter – der später ein Paladin wurde – den Zwergenkönig im Laufe der Kampagne erst erfolglos angelogen hat, dann im Anschluss ihn aber doch noch überzeugen konnte, Truppen zur Unterstützung zu schicken, als irgendetwas, das er in der ersten Sitzung gemacht hat.