Wenn es zur Frage kommt, welches Spiel überhaupt gespielt werden soll, gibt es prinzipiell mal zwei Möglichkeiten: entweder etwas Bekanntes, Verbreitetes oder ein Klein-/Nischen-/Independent-Produkt. Kann man beides überhaupt vergleichen? Ich habe gerade einen schwarzen Raben auf meiner linken Schulter entdeckt, der zu diesem Thema etwas sagen möchte. Ich muss aber warnen, er ist sehr zynisch und ziemlich scharfschnäblig.
“Diese Indie-Spiele. Mal ehrlich… die kennt doch keiner, also mit wem sollte man sich darüber unterhalten? Außerdem sind die Konzepte oft verwirrend. Man stelle sich nur vor, mit zwei Sechsseitern einen Wert im Bereich 11 bis 66 zu erwürfeln – wem fällt so etwas Krankes ein? Wo doch bereits der W20 erfunden wurde! Warum eigentlich von Bewährtem abweichen? Und außerdem: Indies können sowieso nie mit den Großen mithalten. Dieses ganze selbstgebastelte Zeug mit den zweitklassigen Illustrationen und dem mickrigen Portfolio – wo bleibt denn da der langfristige Spielspaß?!
Auf der anderen Seite die guten, alten Marktbeherrscher. Einem Rollenspieler kann doch nichts Besseres passieren als ein Spiel zu spielen, das tausende andere auch spielen! Von wegen, man sei dort eingeschränkt und hätte keinen kreativen Freiraum. Viel wichtiger ist, dass sich haufenweise Material dafür auf dem Markt findet. Wer will sich schon selbst Gedanken machen!? *kräh kräh*”
*den Schnabel halt* Der Rabe mag es ein bisschen übertrieben haben, aber er ist nicht so weit weg von dem, was man so im Internet liest. Es werden noch immer weitläufig D&D, DSA & Co. empfohlen, obwohl mittlerweile wirklich jeder weiß, dass die Marktbeherrscher weder besser noch einfacher zu erlernen sind. Aber sie haben eben ihre Vorzüge. Nebenbei bemerkt: Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, Kaufentscheidungen nach der äußeren Aufmachung, dem Umfang und der Palette an Zusatzmaterial zu treffen.
Aber was denkt Ihr darüber? Fiele eure Wahl auf ein Indie-Spiel, oder würdet Ihr letztlich doch auch bei D&D, DSA & Co landen?
Meine Entscheidung zur Palette an verfügbarem Zusatzmaterial wäre wohl eher: Was, den ganzen Kram soll ich kaufen, damit ich spielen kann? No way! Im Ernst, gerade bei DSA ist die Menge an Büchern so groß und alles ist so festgelegt, dass ich nicht mehr weiß, wo ich da noch kreativ sein soll… Der Detailreichtum ist auch für Einsteiger eher eine Hürde als eine Hilfe, weil die Menge an Fakten nicht zu überblicken ist. Ich stelle auch fest, dass ich weder Lust noch Zeit habe, um ein Grundregelwerk mit mehreren Hundert Seiten zu lesen, wie zum Beispiel bei Earthdawn, nur, damit ich als Spieler nicht bei jeder Kleinigkeit den SL fragen muss.
Ich habe recht viel geschrieben, fand es aber dann viiiieeeel zu lang (ich schwafelte darüber, dass es mir egal ist, ob Indie oder “Mainstream”, das System muss mich interessieren und Ace habe mich für Destiny fasziniert), weswegen ich nur noch den Vergleich abschicke, den ich spontan basierend auf dem Wissen einer Vorlesung zum Thema Produktgestaltung geschrieben habe.
Ich vergleiche nun die Cover vom D&D 3.5 Spielerhandbuch, Pathfinder Grundregelwerk und Destiny Dungeon.
Bei D&D haben wir das Aussehen eines alten, beschlagenen, ledereingebundenen Buches. Braun ist eine bodenständige Farbe, spricht Traditionalisten an, in dem Fall also v.a. alte D&D-Spieler und Fantasy-Fans, die eher was klassisches wollen.
Pathfinder bietet einen Krieger und eine Zauberin im Kampf gegen einen roten Drachen in Ruinen. Man hat einerseits traditionelle und altbekannte Motive (roter Drache = böse -> gut gegen böse, bzw. Helden kämpfen gegen Drachen) andererseits hat man viel Action, ein Bild mitten aus einer Schlacht. Man versucht damit also einerseits zumindest einen Teil der Traditionalisten aber v.a. die D&D 4-Spieler und WoW-Kiddies einzufangen.
Bei Destiny Dungeon sehen wir einen Krieger, eine elfische Magierin und einen Zwerg freudig den nächsten Kampf erwartend mit einem Gemäuer im Hintergrund. Abgesehen vom Zeichenstil ist es sowas von verdammt Old-School, dass mir nicht viel mehr dazu einfällt.^^ Dieses Cover wird wahrscheinlich neben Traditionalisten v.a. Nostalgiker interessieren. Der Zeichenstil wirkt aber recht Comic-haft.
Wir sehen eine gemeinsame Schnittmenge wäre der Traditionalist. Lassen wir ihn dann mal in den RSP-Laden seines Vertrauen gehen, dann wäre ein mögliches Szenario folgendes:
Er schaut sich um, sieht D&D und denkt sich “Hab ich schon.” Schaut dann weiter, sieht PF, schaut rein, weil er schon mal davon gehört hat, und bemerkt, dass es “D&D 3.6/3.75” ist und nimmt es evtl. mit.Destiny Dungeon, da es eben unabhängig ist, steht höchst wahrscheinlich nicht im Regal. Falls es doch drinnen steht, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass er es, weil es ein Taschenbuch ist, eher ignoriert oder auf Grund des Covers sogar als Comic abtut.
Dadurch sehen wir zwei Probleme nur bei der äußeren Produktgestalt für die meisten Indie-Systeme:
1. Die meisten können sich keine höchstqualitativen Cover leisten.
2. Die meisten können sich kein Hardcover mit dickem Papier, das die wahrgenommene Wertigkeit erhöht, leisten.
Und dann kommt – meiner Meinung nach das Hauptproblem – noch die fehlende Präsenz in Läden und die eher schmale Präsenz im Internet – denkt nur an die Macht des Viralen Marketings (wer schwäbisch versteht: http://www.youtube.com/watch?v=uF2djJcPO2A 😉 ).
Ich hoffe, dass mich niemand missversteht und dass irgendjemand das oben dargestellte als meine Entscheidung für ein System sieht.
@Ace: Verstehe mich bitte nicht falsch. Die Präsentation der Veröffentlichung ist nicht schlecht. Aber leider ginge mit mehr Geld eben doch mehr.
Ich versteh’ dich absolut. Produkte werden nunmal nach der äußeren Form beurteilt. Wenn es anders wäre, hätte ich mir bei Destiny Dungeon ein Monatsgehalt sparen können und es mit Word geschrieben.
Meist, aber nicht immer wähl ich eigentlich zuerst was ich spielen will, inspiriert durch Gespräche, Filme, Romane, Träume, Ideen, ….; danach such ich mir mein Regelwerk/System dazu und dann such ich Spieler dafür, und klar beides hat so seine Vorteile und Nachteile.
Exemplarisch angeführt hat ein Indie meist frische und skurille Ideen, welche aber oftmals auch keine langen Kampagnen durchstehen und meist kein erprobtes Regelwerk, die von dir sogenannten Markbeherrscher sind oft schwerfällig aber daführ auch bisserl durchdachter & erprobter.
Heutzutage vermischen sich sicher die Grenzen zwischen Indie und Marktbeherrscher, wie zb bei Degenesis, vom Indie zum Marktbeherrscher zum Ende, da die Regeltechnik von zu vielen Spieler abgelehnt wurde und u.a. an der Diskussion zerbrochen ist.
@Ace: Das mit dem 11 – 66 mit zwei W6 zu würfeln fiel im Jahr 1977, bzw. bisserl davor einem gewissen Marc Miller ein ‘:-)
Ich hab’ immer behauptet, den W66 erfunden zu haben, aber niemals, ihn als erster erfunden zu haben. 😉
Ich persönlich bin recht zwiegespalten, was gut ausgebaute Systeme betrifft. Wie Lujuba schon sagte, wird im Fall von DSA als Neueinsteiger gradezu erschlagen von der Fülle der Informationen. Bevor man wirklich gescheit anfangen kann zu spielen, müssen erst mehrere Bücher gekauft werden, das wäre mir persönlich auch zu teuer. Einerseits bietet so eine detailliert ausgearbeitete Welt Vorteile, weil sie sehr lebendig ist und man zu allem Infos hat, andererseits kann man das eben auch als einengend empfinden.
Viel Erfahrung habe ich mit Indie-Systemen nicht gemacht, ich finde es aber schön, dass sich immer wieder Leute Gedanken darum machen und sich Mühe geben, ein schönes Spiel auszuarbeiten.
Stimmt. Hausgebackene Systeme werden immer nur ein kleines Publikum erreichen, die meißten wohl nur die eigene Rollenspielgruppe. Zieht man es professioneller auf und verlegt das ganze werdens wohl ein paar Leute mehr. Aber die Zahl der Systeme die so entstanden sind und sich auf dauer mit einer eigenen community etablieren konnten ist klein.
ABER: Ein System zu entwerfen ist so etwas wie ein eigenes Hobby und macht einfach Spaß. Wenn viele Leute am basteln sind und sich auch noch auf Kons und in Foren austauschen gibt es einen großen Markt der Ideen der für viel Inspirationen und Entwicklung sorgt von denen alle Profitieren.
Ich seh die Zukunft darin das offene Systeme durch eine lebendige Community gebaut und verändert werden. Das wird häufig auf grundlage etablierter Platzhirschsysteme geschehen. Pathfinder ist da wohl ein gutes Beispiel. Interessant finde ich auch die derzeitigen Versuche bei Tanelorn ein Fate-DSA zu basteln.
Ich halte viel von offenen Lizenzen und gratis PDFs. Setzt sich dann ein guter Regel Kanon durch kann dieser immer noch verlegt werden.
Vielleicht bin ich jetzt ein bischen vom eigentlichen Thema abgekommen. Aber ich glaub mein Punkt ist rübergekommen das ich glaube das die aktive Beteiligung der Community wichtiger geworden ist. Und das hat Anteil daran das zu Weilen auch die Granzen verwischen zwischen kleinen und großen Systemen.
@Ace: Wenn Du die großen Spiele verteidigst wirkt das irgendwie unpassend 😉
Ich spiele lieber große Systeme, weil ich das Meiste aus meinem Aufwand für mein Hobby machen will. Große Systeme bieten eine große Gemeinschaft, erstelltes Material kann vielfach wiederverwendet werden, man kann viel leichter etwas GEMEINSAM erstellen und entwickeln. Das heißt nicht, dass jetzt jeder dasselbe spielen soll, ein Hobby lebt genauso von der Vielfältigkeit werke von der Gemeinschaft. Ich probiere gerne mal was neues aus und manchmal bleibt man hängen. Und schließlich kann ich die DSA-Community auch nicht leiden. Also auch in meinem Augen sind die “Großen“ nicht immer toll und der soziale Faktor schlägt mal wieder alles 😉
Scheiße, das wäre ein toller Anti-Post zum Karneval geworden…. fuck!
Habe ich die Großen verteidigt? Sicher nicht bewusst. 😉
Ich habe nur gesagt, dass sie ihre Vorzüge hätten: große Produktreihen, ansprechende Gestaltung, große Community.
Die anderen hier behaupteten, “inneren” Werte (durchdacht, erprobt…) wage ich mal zu bezweifeln bzw. würde ich sie den Großen zumindest nicht pauschal zuschreiben.
Es gibt auch Ausnahmen. Ich habe hier keine klare Tendenz, da meine Auswahl des Spiels von zuvielen subjektiven Entscheidungsfaktoren geprägt ist, aber:
Retroklone bzw. Simulacra kannst du spielen und dafür schreiben ohne die “gemeinsame Sprache” des Ursystems zu verlieren. Ein Abenteuer für OSRIC oder LotFP kann auch problemlos jemand mit AD&D spielen. Und die sind so dermaßen Indie wie es nur geht.
In deutschsprachigen Landen halte ich das Thema “Gesprächsstoff” ohnehin für überbewertet. Wir haben hier kaum mehr solche Steckenpferde wie die Amis mit D&D, wo du mit Fuchs und Wolf über die schönsten Kaufmodule sprechen kannst. Hierzulande musst du ja schon froh sein, wenn jemand Wald ohne Wiederkehr gespielt hat. 😉
+1. Und D&D spielen eh viel zu wenig.
Groß und Klein verschwimmen hierzulande ja auch. Wenn man den harten Kern der Cthulhu-Community anschaut, so sind das im deutschsprachigen Raum vielleicht auch 100 Leute. Die 100 Leute, die zur Cthulhu Con fahren (wer kommt heuer mit?). Aber es ist natürlich nett, dass es dazu noch vielleicht 1.000 Zusatznerds im englischsprachigen Raum gibt.
Der Unterschied zwischen einem großen System und einem Indie-System ist nur der Verlag im Hintergrund. Die Autoren sind so oder so Fans, die kein oder kaum ein monetäres Interesse verfolgen. Und selbst die Verleger selbst sind Fans, sonst würden sie es nicht machen, kann man doch mit Romanen oder Kartenspielen viel, viel mehr Geld verdienen.
Ich sehe es so: Wir leben in einer kleinen, aber äußerst kreativen und produktiven Szene, in der Macher und Konsumenten nicht nur auf Augenhöhe, sondern oft überhaupt identisch sind. Ich find’s gut.