Die Vorstellung der humanoiden Rassen des neuen Settings Araclia im letzten Artikel hat eine für mich überraschende Resonanz zu Tage gefördert, nämlich die, dass der Begriff “Rasse” als unglücklich empfunden wird; ich nehme mal an, weil man da automatisch an Rassismus denkt und das im Fantasy-Rollenspiel nichts zu suchen hat. Oder?
Rassismus (lt. Wikipedia): … zielt … nicht auf subjektiv wahrgenommene Eigenschaften einer Gruppe, sondern stellt deren Gleichrangigkeit und im Extremfall deren Existenzberechtigung in Frage. …
Jetzt wage ich mich mal aus dem Fenster und behaupte: Rassismus ist sogar ein ganz typisches Merkmal von Fantasy-Welten. Die leben doch geradezu davon, dass es immer wieder Rassen (oder auch Völker) gibt, die sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht grün sind und beharrlich mit einander Krieg führen. Ja, klar, im wahren Leben ist das ein zutiefst verachtenswertes Denkmuster, aber das trifft auch auf Krieg und Waffengewalt zu, und trotzdem spielen wir im Rollenspiel Schwert schwingende Testosteron-Bomben.
Unter dramaturgischer Betrachtung bringt Rassismus nachhaltig und unlösbar vor allem eines ins Spiel: Konflikt, und Konflikt ist gemeinhin etwas Nützliches im Rollenspiel. Und unter dem Aspekt der Plausibilität stellt sich sogar die Frage, ob Rassismus nicht eine Ausprägung zutiefst menschlicher Abgründe ist (gibt es so etwas eigentlich im Tierreich?), die, wohldosiert ins Rollenspiel integriert, auch das Gefühl verstärken kann, es mit einem lebenden, atmenden Setting zu tun haben.
Araclia ist jedenfalls – und dazu stehe ich – keine “Wir haben uns alle lieb”-Welt. Hier verdingen sich verzweifelte Katzenmenschen als Galgentester (ihr Genick bricht nicht so leicht wie das von Menschen), hier werden Kinder, die als Ssaka’ta geboren werden, auf der Straße ausgesetzt und sich selbst überlassen. Hier kommen Menschen tatsächlich zu Tode (und werden nicht lustig durch Zaubersprüche im Kreis geschickt), wenn sie verbotenermaßen in die Wälder der Lynueen eindringen, und von so manchem Gamantulenstamm erzählt man sich so schlimme Geschichten, dass die Menschen seit Jahrhunderten einen großen Bogen um deren Territorium machen. Und, last but not least, sind die Krelveten das personifizierte Böse: ehemalige Sklavenhalter der Menschheit, Paktierer mit Dämonen und Geistern – so einen erschlägt man in Araclia, wenn man die Chance hat, und fragt nicht lange, obwohl durchaus einzelne aus der Linie ihres Volkes ausscheren und versuchen mögen, friedliche Beziehungen aufzubauen.
Abgesehen davon, dass all das geeignet ist, eine Welt plausibel erscheinen zu lassen, bietet es mMn auch zahlreiche Anhaltspunkte für Rollenspiel. Und damit meine ich nicht die klassischen Elf-Zwerg-Dialoge, sondern das Positionieren des eigenen Charakters abseits von Schwarz und Weiß. Und so ganz nebenbei gibt es auch dem SL ein simples Instrumentarium in die Hand, Konflikte in seinem Abenteuer zu motivieren. Auch daran kann nichts verkehrt sein.
Wie so oft macht natürlich die Dosis das Gift. Wer derartiges zum Anlass nimmt, im Spiel Kampagnen gegen andere Rassen/Völker zu lancieren oder aus einschlägigen Beweggründen Unschuldige metzelt, der hat nicht verstanden, wo die Grenze zu ziehen ist. Aber das ist dann ein allgemeines Problem.
(Ein Thema, mit dem wir uns übrigens in Folge 33 des Polyeder Podcast auseinander gesetzt haben.)