Geschliffener Dialog vs. Tavernengebrabbel

Obwohl es mittlerweile viele gute Artikel zum Thema “Wie stelle ich meinen SC dar?” gibt, findet man kaum Anleitungen für das Führen von Dialogen. Das ist insofern schade, als Dialoge zwischen SCs einen großen Teil des Rollenspiels am Tisch ausmachen.

Ein offensichtlicher Grund, warum es dafür kaum Ratschläge gibt, ist der, dass man für einen Dialog – höchst erstaunlich – einen Zweiten braucht, und das bedeutet: Dialoge sind hochgradig improvisiert, spontan und dynamisch, noch viel mehr als Handlungen, denn die orientieren sich meist an mehr oder minder vorgegebenen Parametern (Gegenständen im Raum, Farbe der Tunnelwand, Bäume links und rechts…). Dialoge aber können Zeit und Raum transzendieren, sich um die Kindheit der Charaktere ebenso drehen wie um Geschehnisse, die vielleicht gerade an ferrnen Orten stattfinden, oder um das politische System, für das die Charaktere ins Abenteuer ziehen. Wunderbar, oder?

Ja und nein. Zumindest in meinen Runden beobachtete ich, dass die Spieler mit engen Rahmenbedingungen besser klar kamen als mit völlig freiem Handlungsspielraum. Dass sich Dorfabenteuer so gut spielen und Menschen im Supermarkt eher Marmelade kaufen, wenn ihnen 2 Sorten angeboten werden anstelle von 15, werte ich mal als Indiz dafür, dass diese These auf die Mehrheit der Rollenspieler zutrifft. So gesehen wundert es mich nicht, dass viele ungesteuerte Dialoge, die sich einfach so zwischen SCs ergeben, oftmals in uninspiriertes Tavernengebrabbel abgleiten oder am Ende nur die Frage “Wie ist es denn bei euch [Volk] zuhause?” herauskommt.

So überlege ich schon geraume Zeit, wie man Dialoge im Rollenspiel optimieren kann, ob es Techniken oder Tricks gibt, die dabei helfen, dass sich Charaktere interessant, pointiert, informativ und rollentypisch austauschen. Zu diesem Zweck habe ich ein sehr gutes Werk hervorgekramt, das Buch “Schreiben fürs Fernsehen” von Vivien Bronner, die ich übrigens in einer Schreibwerkstätte erleben durfte und schwerstens weiterempfehlen kann. Rollenspiel ist natürlich kein Buch und auch keine Serie, aber Gemeinsamkeiten gibt es: Abenteuer wie auch Geschichten in Buch und Film und Serie lassen uns in fremde Welten und in andere Charaktere eintauchen. Grund genug, da mal reinzuschauen:

Dialog erfüllt drei Funktionen:
1. Dialog charakterisiert den Sprecher.
2. Dialog treibt die Handlung voran und vermittelt Information.
3. Dialog charakterisiert die Welt […] und schafft Rhythmus.

Nun mein Versuch, das irgendwie aufs Rollenspiel umzumünzen: Unter (1) sehe ich den von arkanen Glyphen faselnden Magier, den bei Oroschgur’s Bart fluchenden Zwerg, den salbungsvollen Priester, den lispelnden Dieb usw. Idealerweise sollte die Charakterisierung über das Klischee hinausgehen und etwas über Haltung, Werte und Eigenschaften des Charakters aussagen. Sprechweise, Wortwahl und Intonation, Vorlieben für gewisse Wörter oder Sprachfehler sind wohl ohnedies Stilmittel, die die meisten Rollenspieler nutzen, um ihre Rolle zu verkörpern. Dem ist, glaube ich, wenig hinzuzufügen.

Punkt (2) ist die Antithese zum oben zitierten Tavernengespräch. Nichts gegen Tavernengespräche, die können lustig sein, oder sie können helfen, am Anfang einer Session in den Character hineinzufinden. Sobald aber ein Zweck fehlt und nur halblustig dahingeplänkelt wird, könnten sich alle schön langsam die Frage stellen, ob damit dem Spiel gedient ist. Wenn niemand einen Nutzen aus dem Dialog zieht, dann ist er sehr wahrscheinlich überflüssig und kann eingespart werden. Dialoge sollten zudem pointiert, kurz, prägnant sein. Manche Spieler können das. Sie improvisieren mit wenigen Worten wahrlich filmreife Dialogzeilen. (Ich selbst gehöre leider nicht dazu, aber ich versuche mich zumindest in Kürze zu üben.)

Punkt (3). Unter diesen Punkt (den Rhythmus lassen wir mal außen vor) würde ich alle Bezugnahmen auf die Spielwelt subsumieren. Das Anrufen von Göttern, Trinksprüche, Redewendungen und Metapher aller Arten und Farben, das Ziehen von Vergleichen und Analogien. Dieser Punkt erfordert gute Kenntnis und Identifikation mit dem Setting und dem Subsetting. Er ist auch eine hervorragende Möglichkeit, Spielerwissen in der Runde weiterzugeben. (“Wer ist übrigens dieser Humpfdiwumpf, den Ihr dauernd anruft?” – “Was, ihr kennt Humpfdiwumpf nicht? [Keuch]. Lasst uns eine Pause einlegen, und ich erzähle euch die Legende. Das heißt, [Keuch] sofern uns unser geschätzter Anführer eine Pause zubilligt.” – “[Grummel] Wenn es sein muss, aber haltet euch kürzer als sonst, Zauberer, es wird bald Abend.”). Oder so.

Dialoge sind, wenn man sie wirklich geschliffen hinkriegen will, eine schwierige Sache. Von den 3 Punkten abgesehen, sollten sie auch noch andere Charaktere einbinden, die äußeren Umstände reflektieren, mit Beschreibungen verknüpft werden, Bezug zum aktuellen Geschehen haben, bisher Unbekanntes referieren… – die Liste der Anforderungen ist groß, und dabei hat man nur wenige Zehntelsekunden Zeit für eine geistreiche Dialogzeile. Ist die Forderung nach einem geschliffenen Dialog im Rollenspiel vielleicht fehl am Platze? Ich glaube nicht. Zwar ist kein Rollenspiel schlecht, nur weil die Dialoge nicht filmreif sind. Aber wie an vielen Elementen kann man auch an Dialogführung arbeiten, und wenn dem von einer kritischen Masse von Spielern Bedeutung zugemessen wird, kann das das Rollenspiel in einer Gruppe ungemein bereichern.

Wie tabu ist der SC für den SL

Für mich war immer eine ungeschriebene Regel im Rollenspiel, dass das Gebaren eines Spielercharakters für den SL tabu ist, sprich: Ein SL sollte nicht diktieren, wie sich ein SC fühlt, was er tut, schon gar nicht, was er sagt. Typisches Beispiel für ein solches Eingreifen ist der misslungene Moralwurf, bei dem der SL wohl versucht ist, aber nicht bestimmen sollte, ob ein SC schreiend das Weite sucht oder sich ängstlich zusammen kauert.

Unlängst ist mir bewusst geworden, dass diese allgemein recht hoch gehaltene Integrität ohnehin schon ziemlich ausgehöhlt ist. Mir z.B. passiert es ständig, dass der SL in meine “Spielersphäre” eingreift. So würfle ich z.B. nach einem durchaus vielversprechend rollengespielten Gespräch auf Charisma, verhaue die Probe, und der SL erfindet, dass ich irgendwie nicht den rechten Ton treffe. Arrg. Oder ich weiß als Spieler genau, dass sich hinter dem Vorhang jemand versteckt, aber ich darf nicht danach handeln, weil mein SC seine Wahrnehmungsprobe versemmelt hat. Arrg. Oder ich springe auf ein Pferd, um einem Gegner nachzujagen, und mein SC bringt sich halb um bei dem Versuch, in den Sattel zu steigen, weil ich die Reiten-Probe nicht schaffe. Arrg.

All diese Dinge sind für mich “charakter-verfremdend” oder “-entfremdend”. Sie hindern mich daran, mich mit meinem Charakter zu identifizieren, zumindest ein Stück weit. Ich habe mir daher fest vorgenommen, als SL in Zukunft bewusster auf diese Kleinigkeiten zu achten und auch in eher simulationistischen Systemen möglichst wenig in die Spielersphäre einzugreifen. In obigen Beispielen z.B. würde ich vielleicht auf die Probe verzichten oder, im Falle des Reitens, eher das Pferd bocken lassen als dem SC abzusprechen, behende in den Sattel zu springen. Nach dem Motto: Das Pferd gehört dem SL, der SC aber dem Spieler.