MR#14 Abenteuertypen: Übersicht

Ich beende meinen theoretischen Exkurs über die Abenteuertypen mit dieser Übersicht,  und hoffe, dass sie trotz ihrer Vereinfachung ihren Zweck erfüllt, der nämlich darin besteht, sich ihre Eigenheiten und Unterschiede bewusst zu machen.

Typ 1: Das erzählerische Abenteuer folgt einer weitgehend vorbestimmten Handlung, meist strukturiert in Szenen, dem klassischen Aufbau eines Dramas folgend. Größte Gefahr: Railroading. Größter Mehrwert: Spannungsbogen. Gewicht: beim SL.

Typ 2: Das ortsgebundene Abenteuer hängt vorwiegend an definierten Örtlichkeiten, die die SCs in beliebiger Reihenfolge aufsuchen und bespielen können. Größte Gefahr: “Undrama”. Größter Mehrwert: Handlungsfreiheit der Spieler. Gewicht: bei den Spielern.

Typ 3: Das interaktionsgetriebene Abenteuer ist fokussiert auf rollenspielerische Interaktion zwischen SCs und NSCs/NSC-Fraktionen. Aufgrund deren Motive improvisiert der SL die Aktionen und Reaktionen aller Beteiligten. Größte Gefahr: schwer beherrschbar. Größter Mehrwert: tolle Dynamik möglich. Gewicht: bei SL und Spielern.

Typ 4: Das gemischte Abenteuer. Derer gibt es gleich mehrere:

a) Das erzählerische/ortsgebundene Abenteuer kennt (z.B. zu Beginn und am Ende) fixe Verläufe und lässt den Spielern dazwischen Sandbox-artigen Raum.

b) Das ortsgebundene/interaktionsgetriebene Abenteuer definiert Örtlichkeiten und NSC/NSC-Fraktionen. Es kombiniert Freiheit der Spieler mit der Improvisation des SL.

c) Das erzählerische/interaktionsgetriebene Abenteuer arbeitet mit “Versatzstücken”, also Szenen oder Szenenteilen, die – je nachdem, wie sich die Interaktion zwischen SCs und NSCs entwickelt – zum Zug kommen (oder einfach verfallen).

Fazit. Es gibt verschiedene Strukturen. Um herauszufinden, welche die richtige für ein konkretes Abenteuer ist, muss ich mir bewusst machen,

  • welchen Abenteuertyp ich als SL gut beherrsche und gerne leite,
  • welchen Abenteuertyp die Spieler gut beherrschen und gerne spielen, denn letztlich sind sie ja die Stakeholder des Spieleabends,
  • und welcher Abenteuertyp kompatibel ist mit meiner Abenteueridee und dem Genre, in dem ich mich bewege.

Ich wollte, ich könnte jetzt sagen: So einfach ist das.

MR#13 Abenteuertypen: Das gemischte Abenteuer

Typ 4: Das gemischte Abenteuer

setzt sich aus Elementen der drei bereits beschriebenen Typen zusammen. Es ist mein präferierter Typus Abenteuer, obwohl man im Grunde genommen unterscheiden muss:

Erzählerisch/ortsgebunden. Bei dieser Mischform definiere ich eine Rahmenhandlung, im einfachsten Fall die erste und letzte Szene meines Dramas. Dazwischen lege ich Örtlichkeiten aus, deren Elemente bei Erreichen einer bestimmten Bedingung ins Finale überleiten. Vorteil: Ich krieg’ mein Drama unter, und die Spieler haben trotzdem über geraume Zeit hinweg die volle Handlungsfreiheit. Ändert natürlich nichts daran, dass das Finale mehr oder minder feststeht; es geht eher darum, wie die SCs ans Ziel kommen und wie sie dann dort aufgestellt sind.

Ortsgebunden/interaktionsgetrieben. Dieser Subtypus definiert Örtlichkeiten, die die Spieler bespielen, aber auch hinlänglich NSC-Fraktionen und deren Ziele, sodass der SL NSCs spontan auftauchen und handeln lassen kann. Als beispielhaft für diesen Typus fallen mir gerade die Indiana Jones-Filme ein: Indy sammelt Hinweise, löst Rätsel, gräbt Zeugs aus (ortsgebundene, statische Komponente), aber auch die Nazis sind nicht untätig, sondern beobachten, forschen selbst oder lassen gar Indy die Drecksarbeit machen, um ihm nachher die Schätze abzunehmen (interaktive, dynamische Komponente).

Erzählerisch/interaktionsgetrieben. Hier zerlege ich mein Drama in Stücke, lege mir quasi szenische Versatzstücke bereit und ziehe diese, je nachdem, wie sich die Handlung zwischen NSCs und SCs entwickelt, aus dem Ärmel. Ich bin damit etwas flexibler als beim erzählerischen Abenteuer, aber nicht ganz so frei wie beim interaktionsgetriebenen. Ein Hauch von Konstruiertheit bleibt, denn ich tendiere als SL natürlich dazu, die Handlung so weiterzuspinnen, dass ich möglichst viele Versatzstücke verwenden kann.

Die vierte logische Kombination von Subtypen, nämlich die Mischung aus allen Abenteuertypen, brauche ich hier nicht weiter auszuführen. Sie ist ohnehin schwer zu designen und läuft auch irgendwie Gefahr, ihren Fokus zu verlieren.

Was bringt diese Systematisierung nun? Mir persönlich hat sie geholfen, einige Fallen zu erkennen und einen weiteren Punkt zu identifizieren, an dem sich die Geschmäcker unterscheiden. Letztendlich geht es ja darum, Abenteuer so zu bauen, dass die Spieler Spaß daran haben. Wenn also Spieler keinen Spaß haben, obwohl der SL objektiv alles richtig gemacht hat, dann war’s vielleicht für diese Runde schlicht und ergreifend der falsche Abenteuertypus. Nur so eine Überlegung.

MR#10 Abenteuertypen: Das erzählerische Abenteuer

Eine meiner Runden hat mich unlängst gebeten, einen Spielleiter-Workshop abzuhalten und ihnen u.a. zu erklären, wie ich denn ein Abenteuer aufbaue. Gute Frage. Ich nehme diese Serie als Gelegenheit, über diverse Abenteuertypen zu reflektieren, beginnend mit

Typ 1: Das erzählerische Abenteuer

Hier stehen Ereignisse und dramatische Entwicklungen im Vordergrund. Dieses Abenteuer erzählt vor allem eine Geschichte, in der die SCs idealerweise die Hauptpersonen darstellen (wenn nicht, ist das Konzept des Abenteuers zu hinterfragen), aber nicht selten gibt es auch 1-2 wichtige NSCs, die beschützt, erlöst, zum Sieg geführt werden müssen oder aber Antagonisten sind.

Handlungsfaden vs. Handlungsfreiraum. Das erzählerische Abenteuer ist, finde ich, schwierig zu designen, denn es gibt einen Handlungsfaden, der nicht verloren gehen darf, auch wenn die SCs unerwartet etwas völlig anderes tun als vom Erfinder erwartet. Natürlich kann man das Abenteuer so anlegen, dass die SCs gar nicht anders können als dem Handlungsfaden zu folgen, aber dann beraubt man die Spieler ihres Handlungsfreiraums. Man spricht dann vom sogenannten Railroading. Es fördert nicht gerade eine proaktive Dynamik und verschiebt die Verantwortung für das Gelingen des Abends sehr stark in Richtung SL.
Wenn also Handlungsfaden, dann plane ich ausreichend Möglichkeiten für die Spieler ein und definiere das Drumherum zumindest soweit aus, dass ich notfalls auch “outside the box” reagieren kann.

Szenenverknüpfung. Das erzählerische Abenteuer lässt sich aus naheliegenden Gründen sehr gut szenisch gliedern, d.h. ich strukturiere es in Abschnitte, die zeitlich und/oder örtlich zusammenhängen. Die Kunst besteht darin, diese Szenen möglichst unterschiedlich zu gestalten, ohne den Gesamttenor des Abenteuers zu verwässern, und das Pacing zu variieren (d.h. manche Szenen geben einfach mehr “Gas” als andere).
Das Wichtigste aber an der Szenengestaltung ist: In jeder Szene sollten die Spieler eine Aufgabe zu erfüllen haben. Szenen, in denen die Spieler nichts zu tun haben, hinterfrage ich, wenn ich sie nicht sogar ersetze oder streiche.

Dramatischer Aufbau. Das erzählerische Abenteuer ist wie ein Drama konstruiert, d.h. beginnend mit einem Prolog, irgendwann überrasche ich die Spieler mit zumindest einem Wendepunkt und führe sie mit einem möglichst straffen Spannungsbogen ins Finale, in dem sie all ihre Ressourcen einsetzen müssen, um das Abenteuer positiv zu beenden (Endgegner-Prinzip). Danach kommt der Epilog, den ich – ebenso wie den Prolog – tendenziell kurz und kompakt halte.
Dieses Prinzip ist bewährt und durchaus empfehlenswert. Es birgt aber die Gefahr der Berechenbarkeit. Es lohnt sich daher (nicht nur in diesem Punkt, sondern ganz allgemein), hin und wieder Strukturen zu brechen und die Spieler mit Unerwartetem zu überraschen.

Meine ganz spezielle Relativitätstheorie

Wenn ich mich so in Sachen Rollenspiel durch Foren und Blogs lese, stoße ich immer wieder auf Beiträge, wie Abenteuer auszusehen haben, wie man richtig spielleitet, was ein Rollenspiel alles tun darf und was es nicht tun darf, was einen guten Rollenspieler ausmacht usw. usf. Besonders in Foren werden Werte, Techniken und Philosophien enthusiastisch hochgejubelt oder gnadenlos niedergemacht. Brandgefährlich sind:

  • Railroading. Gaaanz schlecht, hört man da. Pfui. Spielleiter, die ihre Spieler gängeln, nur um ihren Plot an den Mann zu bringen. Geht ja gar nicht. Angeblich.
  • Goldene Regel. Für die, die die Goldene Regel nicht kennen: Es geht so ca. darum, dass viele Rollenspiele dem Spielleiter explizit zugestehen, die Regeln außer Kraft zu setzen, wenn es dem allgemeinen Spiel (wie auch immer man das definiert) zuträglich ist. Weil ich im Entwurf von Destiny-Beginner diesen Satz noch drinnen stehen hatte, wurde ich gar vor Mord und Totschlag gewarnt. (Ich bin übrigens froh darüber, denn es hat bei mir einen Denkprozess ausgelöst, der andernfalls vermutlich nicht stattgefunden hätte. Trotzdem ganz schön heftig!)
  • Spielerverantwortung. Die Diskussion, wieviel Mitverantwortung Spieler für das Gelingen einer Session tragen, ist auch nicht immer frei von persönlichen Befindlichkeiten. Cooles aktuelles Beispiel in Jörg und Karstens Richtig Spielleiten.

Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist, dass Rollenspiel von der Vielfalt der Spieler und ihrer Geschmäcker lebt. Gäbe es nur Storyteller oder nur Butt Kicker, wäre das Genre nicht dort, wo es heute ist. Insofern möchte ich hier eine Lanze für Relativität brechen. Railroading funktioniert für einige Spieler besser als alles andere, die Goldene Regel hilft so manchem SL, unvergessliche Plots zu erzeugen, und Spielerverantwortung ist was Feines, aber manche Runden würden gnadenlos zerbrechen, wenn der SL sie einfordert.

Ich jedenfalls bemühe mich, all diese Dinge in Relation und Kontext zu betrachten. Würde ich in jedem Blogger einen selbst ernannten Propheten und in jedem Beitrag ein absolut gültiges Postulat sehen, hätte ich vermutlich schon Bluthochdruck. So sage ich mir einfach: Alles ist relativ, und unterstelle dem Verfasser wohlwollend, dass er das auch wusste und nur auf Fußnoten und Disclaimer verzichten wollte.