Goldfall – Kapitel 11: Von Göttern und Menschen

„Wohl an,“ sagte Learto mit vollem Mund, während er mit Rübenmus gefüllte Teigtaschen verspeiste, „Ihr wollt also etwas über Lyreya erfahren. Was kann ich Euch erzählen…“

Er schluckte einen großen Bissen und begann, Struggel über das Wesen der Göttin aufzuklären.

Lyreya, so viel wusste Struggel bereits, war die Göttin der Spiele, der Freude, der Künste, der Liebe und der Freundschaft. Beim Volk war sie äußerst beliebt, da sie den Leuten keine großen Entbehrungen auferlegte, sondern, im Gegenteil, ihnen Muße, Feste und Vergnügungen gönnte. Sie war Schirmherrin des fahrenden Volkes, der Barden und aller Liebenden. Ihre Priester waren durchwegs attraktive Frauen, manchmal auch Männer, durchwegs aber kunstfertig und von fröhlicher Gesinnung. Manche reisten durch das Land, die meisten aber blieben in den Tempeln, um dort Unterricht in Gesang, im Spielen eines Instruments, in Malerei oder Bildhauerei zu erteilen. Das und der Verkauf von Kunstwerken an Adlige sei für die Tempel ein einträgliches Geschäft. Was man sonst noch gerüchteweise von Lyreyapriesterinnen lernen konnte, ließ Learto unerwähnt.

Struggel schrieb alles präzise in sein Büchlein, für den Fall, dass er es vergessen würde.

Learto verschlang eine gelbe gekochte Wurzel im Ganzen, bevor er sich daran versuchte, Lyreyas Wesen zu charakterisieren. „Hm, im Grunde genommen ist sie eher anspruchslos. Sie ist nicht sehr kompliziert, wisst Ihr, vielleicht könnte man sie auch ein wenig blauäugig nennen.“

„Ihr dürft gerne genauer werden.“

„Was erwartet Ihr? Eine Göttin lässt sich nicht beschreiben wie die Nachbarstochter!“

Dennoch verdichtete sich Leartos Schilderung allmählich zu einem schlüssigen Bild. Lyreya schien demnach keine großen Anforderungen an die Menschen zu stellen, gleichwohl aber um so extremer zu reagieren, wenn sie sich hintergangen fühlte. Sie war eine sehr menschliche Göttin, spontan, geleitet von Gefühlen und beherrscht von Launen, aber das wunderte Struggel nicht, denn alle Menschengötter waren irgendwie menschlich. Das machte sie für ihn ja auch so unglaubwürdig!

Als Learto sein Wissen über die Göttin vollständig zum Besten gegeben hatte, machte sich Struggel daran, die neu gewonnenen Informationen zu verknüpfen: „Lasst mich zusammenfassen: Alles dreht sich um eine Göttin, die den Menschen jedes Jahr einen spektakulären Wasserfall beschert, aus dem angeblich Gold fließt. Nur dieses Jahr bleibt das Wunder aus. Anstatt dessen ist die Göttin enttäuscht und bringt Schmerz und Übelkeit über die in ihren Augen unwürdigen Schaulustigen.“

Learto schmatzte zustimmend.

„Seltsam ist aber, dass all dies geschah, nachdem ich eine Probe vom ‘heiligen’ Felsen nahm. Glaubt Ihr an einen Zufall?“

„Ihr etwa nicht?“

„Ich könnte mir vorstellen, dass jemand die Gelegenheit ergriff, ein Verbrechen zu begehen, wohl ahnend, dass die Ereignisse auf mich deuten würden.“

„Aber wie sollen wir diesen Kerl finden?“

„Das wird gewiss schwer. Vielleicht sollten wir herausfinden, was eigentlich das Verbrechen ist, das begangen wurde, bevor wir auf die Suche nach dem Täter gehen!“

„Aber es ist doch nichts Außergewöhnliches geschehen! Wir sind hier im Paradies, Struggel, umgeben von Girlanden, schönen Frauen und köstlichem Essen! Nichts und niemand trübt die Idylle – von Euch abgesehen, natürlich.“

„Scherzt nur, Meister Schmied. Um Euren Kopf geht es ja nicht…“

Learto hörte sich noch acht weitere Theorien an, bevor er sich für ein Mittagsschläfchen auf das gemeinsame Zimmer im ersten Stock zurück zog. Struggel hingegen war voller Tatendrang und zappelte sogleich nach draußen, auf der Suche nach verdächtig aussehenden Menschen und Dingen, die nicht so waren, wie sie seiner Meinung nach sein sollten.

Als er am Abend erschöpft zurückkehrte, berichtete er aufgeregt, wie er im Dorf um Haaresbreite dem Bärtigen entkommen war. Danach erzählte er, mit Hilfe seines Büchleins, was er über Kardia herausgefunden hatte: dass sie in ihrer Jugend alleine nach Goldfall gekommen sei und lange als Tempeldienerin gearbeitet habe. Später habe sie den Zimmermann geheiratet, dieser aber sei an bösem Husten verstorben, bevor sie ihm Kinder schenken konnte. Immerhin habe er ihr seine Werkstätte hinterlassen, die sie später veräußerte, um selbst einen Instrumentenladen zu eröffnen.

„Ein Instrumentenladen… klingt äußerst verdächtig!“, spottete Learto und kippte einen Becher Wein.

Struggel blätterte ungerührt in seinem Büchlein. „Ach ja, ich sprach auch den hiesigen Steinmetz auf den heiligen Felsen an, worauf er mir erzählte, dass vor drei Generationen angedacht war, den Tempel in das Innere des Berges zu verlegen, weil man dort dem göttlichen Gold näher sein wollte. Der Plan scheiterte aber am Widerstand des Dorfrates. Und vor hundert Jahren kam ein Barde namens Farinaldo nach Goldfall, auf der Suche nach der perfekten Melodie.“

„Und?“

„Das ist alles.“

„Das ist nicht viel.“

„Nicht viel? Das ist mehr, als Ihr zu Stande gebracht habt! Oder habt Ihr des Rätsels Lösung inzwischen aus Euch herausgeschnarcht?“

Mit einigen Bechern Wein und freundschaftlichem Zank ging ein weiterer Tag zu Ende, und noch immer hatte Struggel keinerlei Anhaltspunkt. Aus unerfindlichen Gründen konnte er auch seinen Verdacht gegen die Harfenspielerin nicht begraben. Im Gegenteil – er verfärbte jeden seiner Gedanken und hielt ihn auch davon ab, endlich Schlaf zu finden.

Es dauerte lange, ehe Struggel die innere Ruhe fand, die der fortgeschrittenen Stunde angemessen war. Trübsinnig starrte er auf die Laterne, deren Konturen er sanft über sich baumeln sah, und merkte gar nicht, wie er schließlich einschlummerte.

Während der Nacht zog heftiger Wind auf. Er pfiff durch die Ritzen in der Außenfassade und drückte gegen die ächzenden Fensterläden. Struggel erwachte prompt und war überrascht zu sehen, wie Schneeflocken durch die Spalten drangen.

Die Laterne baumelte verdächtig über ihm, und der Trosh ging daran, das Fenster mit einem Tuch abzudichten, bevor der Wind es aufstieß oder, noch schlimmer, die Laterne vom Haken wehte. Er schlurfte zum Fenster, da vernahm er im an- und abschwellenden Gesang des Windes eine Melodie: eine kurze Phrase, bestehend aus sechs Tönen, gespielt auf einer Harfe; wie jener, an der Kardia aufgetreten war.

Struggel spreizte die Ohren ab. Da war noch etwas: ein dumpfes Grollen, als ob Stein auf Stein rieb. Nach wenigen Sekunden verebbte auch dieses Geräusch, und alles, was blieb, war das Heulen des Windes.

Die Augen des Trosh wanderten hin und her, seine Gehirnwindungen arbeiteten auf Hochtouren. Anfallartig stürzte er zu seinem Notizbuch, zeichnete Zickzacklinien und versuchte dabei die Töne, die er gerade gehört hatte, nachzusingen. Ein kratziges Wimmern war das Ergebnis, und Learto drehte sich im Schlaf brummelnd zur Wand. Struggel konzentrierte sich darauf, die sechstönige Phrase nachzuvollziehen und mit Strichen, die je nach Tonhöhe hinauf oder hinunter zeigten, zu Papier zu bringen.

Erst als er meinte, dies bewältigt zu haben, gelang es ihm, dauerhaft Schlaf zu finden.

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Goldfall – Kapitel 10: Verdachtsmomente

„Ihr habt was getan?“

Learto brauchte geraume Zeit, das zu verdauen. Er hatte mittlerweile zähneknirschend akzeptiert, dass Struggel dann und wann Stichflammen auslöste, die Erde zum Zittern brachte oder starken Wind herauf beschwörte – diese Dinge waren dem Trosh auf sonderbare Weise angeboren und geschahen zumeist unwillkürlich. Aber dass er nun Zauber aus Büchern zweifelhaften Ursprungs sprach, machte Learto als Catorier schwer zu schaffen. Sein Volk hatte weiß Gott genug durch Magier und solche, die sich dafür hielten, gelitten.

„Viel wichtiger“, rechtfertigte sich Struggel, „ist das, was ich herausgefunden habe: Magie ist am Werk! Finstere Zauberei, Meister Schmied! Und nein“, fuhr er fort, als dieser den Mund öffnete, „ich habe mir all dies nicht eingebildet.“

Learto atmete entnervt aus. „Ich weiß nicht, wie uns das helfen soll, Eure Unschuld zu beweisen, aber wenn Ihr überzeugt davon seid, dass hier böse Kräfte am Wirken sind, dann solltet Ihr die Priesterschaft informieren.“

Struggel hielt kurz inne. „Ihr habt Recht. Genau das werden wir tun!“

Schon am nächsten Tag wurden sie von der Mutter der Hohepriesterin vor der Cella empfangen. Im Hintergrund war monotoner Gesang zu hören, begleitet von Glöckchen und einem dünnen metallischen Ton, dessen Ursprung sie nicht gewahr wurden.

Die Priesterinmutter reagierte auf Struggels Entdeckung äußerst gelassen: „Natürlich ist Magie im Spiel! Dort, wo Menschen mit göttlichen Gaben ans Werk gehen, werdet Ihr immer das vorfinden, was Ihr Zauberei nennt. Und niemand zweifelt daran, dass der ehrwürdigen Kardia ein wahrhaft göttliches, zauberhaftes Talent zu Eigen ist. Ich frage mich allerdings“, sie wurde ernster, „was Euch dazu bewogen hat, ihr so zu misstrauen, dass Ihr zu Mitteln grifft, die in diesem Land bei strengster Strafe verboten sind. Ihr habt Glück, dass die weltliche Ordnung nicht unser Belang ist.“

Struggel brabbelte etwas Unverständliches, ehe die Priesterin das Thema wechselte: „Da Ihr schon hier seid, kann ich Euch ebenso gut gleich mitteilen, dass wir unseren ersten heiligen Reigen beendet haben. Wir wissen nun und werden auch demnächst bekannt geben, dass die Göttin ob menschlichen Makels erzürnt und enttäuscht ist.“

„Das kann ja dann wohl nichts mit mir zu tun haben. Wie Ihr sehen könnt, bin ich kein Mensch“, scherzte Struggel, zwang sich jedoch gleich wieder zu Ernsthaftigkeit.

„Vergesst nicht, was für Euch auf dem Spiel steht, kleiner Mann. Geht nun da raus und findet die Wahrheit. Und zwar ohne jene zu belästigen, die über jeden Zweifel erhaben sind!“

Vor dem Tempel ließ Struggel die Schultern hängen.

Das Gespräch hatte seinen Verdacht gegen die ältliche Harfenspielerin wie Kräuter in einem Mörser zerrieben. „Es ist hoffnungslos, Meister Schmied. Wenn die Harfenspielerin nichts mit all dem zu tun hat, wie sollen wir dann unter all den Dörflern, Pilgern, Eiferern und Irren den Verantwortlichen finden?“

„Wisst Ihr,“ lachte Learto und klopfte Struggel auf die knochige Schulter, „manche von uns sind für’s Denken gemacht, andere für’s Schmieden. Ich halte es mit letzterem, da weiß man, woran man ist.“

Der Trosh blickte sauer. „Ich meine es ernst: Wie soll ich herausfinden, was hier vor sich ging, wo ich doch keine Ahnung von dieser Göttin, ihren Priestern und ihren Wundern habe?“

Learto setzte sich in Bewegung. „Sieht so aus, Struggel, als würdet Ihr doch noch unsere Götter kennen lernen.“ Er hielt sich den knurrenden Magen. „Bin ich aber hungrig! Ich schlage vor, wir beginnen bei Payaon, dem Gott des Wohlstandes, der ist für ein köstliches Mittagsmahl zuständig. Was ist, kommt Ihr mit?“

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Goldfall – Kapitel 09: Abendfest

Von ganz hinten verfolgten Struggel und Learto, wie die junge Hochgeweihte auf dem Dorfplatz ihre Rede hielt, die Leute beruhigte, die „große Kontemplation“ ankündigte und sich bei den Pilgern entschuldigte, die den weiten Weg auf sich genommen hatten, um ein Wunder zu sehen, das nun aus unerfindlichen Gründen gescheitert war. Dass sie zuvor geweint hatte, war dem Mädchen kaum anzusehen.

Im Hintergrund standen die übrigen Priesterinnen und Tempeldiener, und Learto hob bei jeder einzelnen beeindruckt die Augenbrauen. Sie alle waren wunderschön, und das war kein Zufall: Die Priesterinnen der Lyreya wurden in erster Linie nach ihrem Liebreiz auserkoren, und darüber hinaus wurden sie jahrelang darin unterwiesen, ihre Schönheit mit allen Mitteln, die Natur und Alchemie bereitstellten, hervorzuheben. Learto hatte sogar irgendwo gehört, dass die Priesterinnen vornehmen Töchtern Unterricht im Liebesspiel erteilten, um deren Heiratswert zu steigern – aber vielleicht war das auch nur ein Gerücht…

Nach der Hohepriesterin wandte sich der Dorfsprecher an die Leute. Er war ein leutseliger Mann mit grauem Vollbart, gekleidet in ein solides Lederwams. „Hört her, ihr Leute! Auch ich habe euch etwas zu sagen. Ich bin Gorwin, Sohn des Gorrun, und im Namen des Dorfes darf auch ich mich entschuldigen. Viele von euch sind von weit her gekommen, und wir wollen nicht, dass eure Reise umsonst gewesen ist. Ihr braucht daher für die nächsten drei Tage und Nächte nichts für eure Unterkunft zu bezahlen, und ich freue mich ganz besonders, ein Fest für heute Abend anzukündigen, mit dem die Göttin versöhnt werden soll. Zu ihren Ehren wird unsere berühmte Harfenspielerin, die altehrwürdige Kardia, ihre einzigartige Kunst zum Besten geben. Kardia?“

An dieser Stelle schritt eine ältere Frau mit hochgestecktem, grauem Haar würdevoll nach vorne und verbeugte sich vor der applaudierenden Menge.

Gorwin klatschte ebenfalls. „Wie, wenn nicht durch Musik, Spiel und Tanz könnten wir Lyreya versöhnen! Also – lasst den Kopf nicht hängen, sondern freut euch auf die zehnte Stunde. Dank’ euch!“

„Ein Fest“, wiederholte Learto in Struggels Richtung. „Das ist gut. Vielleicht vergessen die Leute bei Tanz und Musik Eure Missetat.“

Die zehnte Stunde kam, und das Tageslicht ging.

Die Bänke am Hauptplatz waren neu ausgerichtet worden. Man hatte gemütliche Lauben gebaut und Blumen, Ranken und Girlanden liebevoll arrangiert. Für Licht sorgten glimmende Kohleschalen, deren Geruch sich mit dem eines gebratenen Hirsches vermischte. Goldfall gab sich offenbar alle Mühe, die Leute mit einem spektakulären Abendfest zu versöhnen.

Höhepunkt des Festes war die bereits angekündigte Darbietung Kardias. Dafür trug man eigens eine riesige, mit Goldintarsien verzierte Harfe aus dem Haus der Harfenspielerin herbei.

Es war totenstill, als Kardia ihren Rock lüftete und sich mit starrer Miene an ihr Instrument setzte. Learto konnte erkennen, dass sie hochgewachsen und fortgeschrittenen Alters war. Struggel stand derweilen auf einem Sessel und spähte über dutzende Köpfe hinweg. In der einen Hand hielt er ein Stück Schwarzbrot, in der anderen einen Becher mit gewässertem Wein, wie er hier allerorts ausgeschenkt wurde.

Kardia hob mit einer erhabenen Geste die Hände und streckte die Handflächen gen Himmel, als ob sie eine göttliche Gabe in Empfang nähme. Dann lächelte sie ein bittersüßes Lächeln und schlug die erste Saite an.

Der Klang der Harfe war wunderbar und vollkommen. Weich und ätherisch hoben sich die Töne vom Rauschen des Wasserfalls ab und hallten zwischen den Felswänden, die Goldfall flankierten, wider. Learto war kein Mann der Künste, aber das hier war mit Abstand das Schönste, was er je gehört hatte. Jeder einzelne Ton war genau so, wie er sein musste, als stamme er von Lyreya selbst, und obwohl er das Lied noch nie gehört hatte, war ihm, als kannte er es schon seit langer Zeit.

Auch die anderen lauschten wie gebannt. Kardias Finger glitten mit unnachahmlicher Fertigkeit über die Saiten der Harfe, doch schienen sie auch die Seelen der Anwesenden zu berühren.

Struggel fragte sich, was es war, das die Leute so gebannt zur Harfenspielerin starren ließ. Misstrauisch kniff er die Augen zusammen, und dann traf ihn wie ein Blitz die Erkenntnis.

Um sicher zu gehen, sprang er wie von der Tarantel gestochen vom Sessel, lief um den Hauptplatz bis zur Taverne „Zum Goldfall“, hastete die Treppen hoch und förderte unter seinem Bett ein Buch zu Tage. Durch das Fenster drang weiterhin das Harfenspiel. Hastig blätterte er, bis er die gesuchte Stelle fand. Er wiederholte die Worte, die dort standen, einige Male, um sie sich einzuprägen, dann schlug er das Buch zu und lief wieder nach draußen. Auf dem ledernen Einband befand sich ein von Runen umgebenes Pentagramm.

Wieder zurück am Hautplatz erklomm Struggel den Sessel und flüsterte kaum hörbar die Worte aus dem Buch. „Magalorca shaturar, canlom tarar, canlom paren, magayerca shaturar, canlom taror, canlom testa…“

Immer wieder wiederholte er die Phrase, bis die Festbeleuchtung aus seiner Wahrnehmung verschwand und er – als einziger – in völlige Dunkelheit starrte. Nur dort, wo er gerade noch Kardias Hände ausgemacht hatte, sah er parallele blaue Strähnen aufblitzen. Bei jedem Ton leuchteten sie auf und verglühten gleich wieder binnen eines Herzschlages.

Wenn er die Zauberformel richtig gesprochen hatte – und davon war Struggel überzeugt – dann bedeutete das unweigerlich, dass dort, wo in seiner Wahrnehmung Kardias Hände die Saiten der Harfe berührten, Magie im Spiel war.

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Goldfall – Kapitel 08: Der Auftrag

Es war tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis die Leute mit dem Finger auf ihn zeigen und behaupten würden, das Wunder wäre seinetwegen ausgeblieben. Er, der er den heiligen Felsen mit Hammer und Meißel geschändet hatte, als perfekter Sündenbock, als der Grund, warum Lyreya ausgerechnet in diesem Jahr, dem 653. Jahr nach der Gründung Catoriens, ihr Wunder für sich behalten hatte.

„Es gibt keinen anderen Weg“, sagte Learto nach langem Überlegen. „Ihr müsst fliehen Ich bin gewiss kein Feigling, aber wenn man Euch hier erst in die Mangel nimmt…“

Struggel schwieg – ausnahmsweise – und trommelte mit den Fingern gegen die Häuserwand. Ihm war bewusst, dass es ihm kaum gelingen würde, sich zu rechtfertigen. Nicht gegenüber religiösen Eiferern und Anschuldigungen, die sich weder beweisen noch widerlegen ließen. Mittlerweile kannte er die Traditionen dieses Menschenvolkes und wusste, dass die Catorier, was ihre Götter betraf, keinen Spaß verstanden. Für einen kurzen Augenblick zog er sogar in Betracht, das Scheitern des Wunders tatsächlich verschuldet zu haben.

„Aber nein!“, rief er plötzlich, „ich kann unmöglich schuld an alldem sein! Und wisst Ihr auch, warum? Bringt mich zum Tempel, jetzt!“

Learto machte ein seltsames Gesicht.

Um das weißgetünchte Gebäude hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet. Viele suchten nach Antworten, andere wollten Opfergaben darbringen oder ein Gebet sprechen, um die Göttin wieder milde zu stimmen. Dieselben Tempeldiener, die auch die Sänfte der Hochgeweihten getragen hatten, hielten die Leute jedoch am Tor auf Abstand.

Der Schmied hatte alle Hände voll zu tun, Struggel heil durch die Menge zu bringen, und ebenso schwer war es, die Tempeldiener davon zu überzeugen, sie hinein zu lassen. Schließlich aber bemerkte eine der Priesterinnen, wer da vor dem Tempel stand und ließ sie eintreten.

Man brachte sie unverzüglich zur Kammer der Hochgeweihten. Durch den Vorhang sah Learto das Mädchen, wie es am marmornen Boden kniete, eine Ikone in den Händen hielt und bitterlich weinte. Da schwang der Vorhang zur Seite, und eine wesentlich reifere, aber nicht minder attraktive Frau trat zu ihnen heraus. Learto und Struggel machten unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Was…?“, begann sie barsch, „Ihr seid noch hier? Ihr hättet lieber fliehen sollen, solange Ihr Gelegenheit dazu hattet.“

Während Learto betreten zu Boden sah, schnappte Struggel zurück: „Das würde Euch so passen! Ich werde nirgendwo hingehen. Ich bin hier, und ich bleibe hier!“

Learto entschuldigte sich in aller Form für seinen Gefährten, doch die Frau reagierte äußerst unerwartet: Sie nickte einige Male, so als läse sie Struggels unausgesprochene Gedanken.

Schließlich sagte sie, weitaus ruhiger: „Ihr seid klüger als man Euch zutrauen würde. Also gut, folgendes möge geschehen: Meine Tochter wird verkünden, dass sich die Geweihtenschaft zu einer tiefen Kontemplation zurückzieht, um den Willen Lyreyas in Erfahrung zu bringen. Bis die Göttin ihren Willen kundgetan hat, soll es keinerlei Akt der Vergeltung geben. Ihr werdet somit ein wenig Zeit haben, um herauszufinden, warum das Wunder ausblieb. Aber bedenkt, dass diese Zeit begrenzt ist, und vergesst nicht, was Ihr zu verlieren habt.“

Learto blickte fragend zu Struggel, der allerdings grinste nur selbstzufrieden.

„Und nun geht mir aus den Augen.“

Tempeldiener führten die beiden durch die Hintertür nach draußen.

Dort packte Learto den Trosh an der Schulter. „Dageblieben! Was war denn das gerade? Wie kommt es, dass ich in Eurer Gegenwart immer das Gefühl habe, nichts zu verstehen?“

Der Trosh lächelte noch immer breit. „Das rührt daher, Meister Schmied, dass Ihr nicht zum Denken geboren seid. Ebenso wenig, wie es mir bestimmt ist, einen Hammer zu schwingen und schweres Eisen zu schmieden. Aber ich will Euch aufklären: Ihr erinnert Euch gewiss, dass das Mädchen meinte, ein ungläubiger Trosh wie ich könne nie und nimmer das zerstören, was den Leuten hier heilig sei.“

„Ja… nun… aber, und?“

„Es ist doch ganz einfach: Wenn sie mich als Urheber dieser Misere anklagten, hieße das zwangsläufig, dass das Mädchen – immerhin die Hohepriesterin – sich geirrt hat. Niemand würde ihren Worten danach noch Glauben schenken. Ihre Frau Mutter ist sich dessen natürlich bewusst und hoffte wohl, ich würde fliehen.“

Allmählich begriff Learto.

„Damit wäre meine Schuld weder zu beweisen noch zu widerlegen gewesen. Da ich aber hier bin und sie genau weiß, dass mich keine Schuld trifft, liegt es keineswegs in ihrem Interesse, dass man mich anklagt.“

„Trifft Euch denn keine Schuld?“

„Ich denke nicht, hehe. Aber das herauszufinden, ist ja unser Auftrag.“

„Was für ein Auftrag? Niemand hat etwas von einem Auftrag gesagt!“

„Natürlich hat sie es nicht ausgesprochen, Meister Schmied! Wäret Ihr Hohepriester, würdet Ihr wohl auch nicht einen ungläubigen Trosh damit beauftragen, Licht ins Dunkel Eurer Affären zu bringen, oder?“ Er kicherte. „Ich stelle fest: Die Wege Eurer seltsamen Götter sind in der Tat unergründlich!“

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Goldfall – Kapitel 07: Das Wunder

Struggel und Learto verbrachten die Nacht in einer Taverne am Hauptplatz, in der nur deshalb noch Zimmer frei waren, weil sie für die meisten Pilger zu teuer war. Struggel tat ums Geld nicht Leid, aber Learto kostete es das letzte Kupferstück. Dafür fragte man ihn ständig, ob er mit dem Zimmer zufrieden sei, ob er vielleicht ein Bad wünsche oder ob man seine Kleidung ausklopfen oder möglicherweise frische Blumen aufstellen solle. All das hasste Learto, aber er war froh, überhaupt ein Dach über den Kopf gefunden zu haben.

Struggel beging den Morgen indes mit strahlender Laune. Er schien die unerfreulichen Ereignisse des vergangenen Tages vergessen zu haben, und Learto sah keinen Grund, ihn daran zu erinnern.

So verbrachten sie den Vormittag damit, fröhlich durch das Dorf zu spazieren, die hiesige Handwerkskunst zu bewundern und mit den Einheimischen über das Wunder zu plaudern. Immer wieder liefen ihnen Leute über den Weg, die am Vortag Zeuge gewesen waren, als Struggel den Fels beschädigt hatte. Sie konnten nicht fassen, dass der gotteslästerliche Trosh sich immer noch in Goldfall aufhielt, und sie hätten wohl persönlich für seine Abreise gesorgt, hätte Learto sie nicht mit finsteren Blicken auf Abstand gehalten.

Zu Mittag war es dann soweit, und sie bewegten sich zum Wasserfall. Noch bevor die Sonne ihren Zenit erreichte, versammelten sich dort Hunderte von Pilgern auf dem Dorfplatz. Man hatte Bänke aufgestellt, allerdings viel zu wenige für die riesige Schar. Zu Leartos Überraschung enthüllte Struggel, dass er in weiser Voraussicht Plätze besetzt hatte. Der Schmied fragte ihn, wie er denn das gemacht hätte, daraufhin führte ihn der Trosh zielstrebig zu einer Bank, auf der sich zwei Hinternbreit schleimige Rückstände befanden.

„Ich wusste, dass sich niemand freiwillig hierher setzen würde“, kicherte er.

Learto verzog angewidert das Gesicht. „Ja, wirklich eklig. Und was sollen wir nun… oh, was habt Ihr da?”

Struggel zog ein Tuch hervor und breitete es gewissenhaft über den Schleim. Dann lud er den überraschten Learto mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen.

Von der Bank aus hatten sie ungetrübte Sicht auf den Goldfall – wozu auch immer das gut war, denn Struggel bezweifelte nach wie vor, dass etwas Wundersames geschehen würde. Nach einiger Zeit aber rieb er sich die Augen. „Keine einzige Wolke am Himmel“, beschwerte er sich. „Es ist so hell, dass ich fast nichts sehen kann. Ihr werdet mir wohl alles beschreiben müssen.“

Learto verschränkte die Arme und lachte. „Damit Ihr hinterher behaupten könnt, ich hätte Euch Märchen erzählt? Euch ist auch wirklich keine Ausrede zu billig, Struggel!“

Die Augen des Trosh veränderten sich aber tatsächlich, seine Pupillen schrumpften zu stecknadelkopfgroßen Punkten. Das Sonnenlicht blendete ihn. Er schirmte es mit den Händen ab, wie viele andere auch, die so versessen darauf waren, das Wunder zu sehen, dass sie sich nicht einmal zu blinzeln getrauten. Manchen liefen sogar Tränen über die Wangen.

Die Sonne musste den Höchststand erreicht haben, da versickerte das Gemurmel am Platz. Nur das Plätschern des Wasserfalls war zu hören, und von Männern mit muskulösen Oberkörpern wurde eine Sänfte herbeigetragen. Ihr entstieg, mit der Grazie einer Tänzerin, die Hohepriesterin und verkündete mit glöckchenhafter Stimme die Zeit des Wunders.

„Preiset Lyreya!“, rief sie. „In ihrer Großzügigkeit wird sie, die ihr lieben Leute sie als die Göttin der Schönheit, der Spiele, der Künste und der Liebe kennt, schon bald eure Herzen erfreuen. Wie Ihr wisst, jährt sich am heutigen Tage die göttliche Rettung des singenden Mädchens. Vor langer Zeit bewirkte die Vollkommenheit ihres Liedes, dass aus diesem Wasserfall pures Gold strömte. Zum Gedenken lässt die Göttin Jahr für Jahr jenes wunderbare Gold fließen, und so sie will, werdet auch Ihr, die Ihr so zahlreich nach Goldfall gekommen seid, für Euren tief empfundenen Glauben belohnt und Zeugen eines wahrhaft göttlichen Mirakels werden.“

Sie beendete ihre Ansprache mit einem Lächeln, das Learto den Mund offen stehen ließ, und zog sich anschließend würdevoll in die Reihen des Publikums zurück. Pilger stimmten nun einen leisen Gesang an.

Weitere Minuten vergingen, und immer noch starrten alle auf den Quell. Gleichbleibendes, angenehm beruhigendes Rauschen war zu hören. Als der Schmied sah, wie Struggel in sich zusammensank, weckte er ihn mit einem sanften Ellbogenstoß. Von da an ging Struggel dazu über, unruhig hin und her zu wetzen.

Nach einiger Zeit wurde selbst Learto ungeduldig. Er drehte den Kopf wie beiläufig und sah, dass er nicht der einzige war, der sich umblickte. Auch andere schienen sich zu fragen, wann endlich das Wunder statt finden würde. Verhaltenes Gemurmel stellte sich allmählich unter den Anwesenden ein.

„Na, wo bleibt denn nun Euer Wunder?“, ätzte Struggel leise, als im selben Augenblick Schreie durch die Menge gellten. Auf einen Schlag krümmten sich alle Anwesenden vor Schmerzen. Auch Struggel fiel vornüber von der Bank, und Learto hielt sich den Kopf, als hätte ihm jemand einen glühenden Dolch in die Schläfe getrieben.

Nach einem Zeitraum, der wie eine Ewigkeit schien, ließen die Schmerzen nach, und ein dumpfes Pochen blieb in den Köpfen der Menschen zurück. Struggel rollte orientierungslos die Augen.

„Bei den Göttern, was war das!!“, keuchte Learto tränend und versuchte, sein Gleichgewicht wieder zu finden. Die Menschen liefen bereits durcheinander, schrien vor Schmerz, viele rannten davon, manche verloren die Balance und stürzten zu Boden, andere blieben liegen und flehten die Göttin um Gnade an, wiederum andere trampelten über die, die am Boden lagen, hinweg. Pures Chaos griff um sich.

Learto schnappte Struggel und zog ihn so schnell er konnte zur Seite, in den Schatten der Taverne.

„Das also war Euer Wunder. Sehr beeindruckend…“, sagte der Trosh mit einem Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen, doch Learto rüttelte ihn durch: „Ihr solltet das lieber ernst nehmen! Ist Euch nicht klar, was gerade geschehen ist?“

„Oh doch! Nichts ist geschehen!“

„Das Wunder der Lyreya – es ist ausgeblieben! Und das, nachdem Ihr den heiligen Felsen beschädigt habt! Begreift Ihr, was ich zu sagen versuche?“ Seine Augen waren geweitet vor Sorge und er deutete auf die Dörfler: „Wenn die da auf die Idee kommen, dass das Eure Schuld sein könnte, dann kann nicht einmal ich euch retten!“

Da erinnerte sich Struggel an das, was Tags zuvor geschehen war, und er erkannte plötzlich die Gefahr, in der er sich befand.

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Goldfall – Kapitel 06: Anklage

Unsanft plumpste Struggel auf den Marmorboden.

Ein orangefarbener Lichtkegel fiel durch eine gläserne Kuppel direkt auf ihn, und ringsum standen mächtige Alabastersäulen. Seidentücher und Perlenketten bewegten sich im sanften Luftzug, Windspiele verbreiteten ätherische Klänge, und Räucherschalen verströmten blumigen Duft.

Die Dörfler waren immer noch erzürnt, doch seit sie die Schwelle des Tempels übertreten hatten, fluchten sie über ihn wenigstens nur noch im Flüstern. Nach dem, was Struggel mitbekommen hatte, würde nun die Hohepriesterin dieser Göttin über ihn richten. Ihn schien das nicht besonders zu kümmern, ebenso wenig wie die anklagenden Blicke der Dörfler, denn Struggel begann schon bald, sein Interesse für die Mosaike und Reliefs zu entdecken und zwischen ihnen herumzuwandern.

„Heda, Freundchen, hier geblieben!“, durchbrach der Bärtige die Stille und versperrte ihm breitbeinig den Weg. Die anderen bildeten einen Halbkreis.

Struggel lächelte konfus – er hatte nicht vorgehabt zu fliehen – und kehrte folgsam in die Mitte der Cella zurück, als ein golddurchwirktes Seidentuch zur Seite glitt und eine leicht bekleidete Frau hindurch trat.

„Ah!“, rief er und zappelte auf sie zu, „endlich jemand, der hier was zu sagen hat. Also, es verhält sich folgendermaßen, Frau Hohepriesterin: Ich bin Astruggelaniunkagelush vom Volk der Trosh und begleite lediglich einen Freund auf dieser Pilgerreise. Ich hatte nicht vor, etwas Böses zu tun, aber all das Gerede von Gold und… was denn??“

Die Tempeldienerin machte einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf ein Mädchen frei, das noch viel hübscher war. Sie stand an der Schwelle zum Frausein und hatte ein höchst bezauberndes Gesicht. Sie trug ein mit Goldfäden und Edelsteinen durchwirktes Kleidungsstück, das ihre Figur bis ins kleinste Detail erahnen ließ und bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin. Ihre goldenen Locken schwangen im Rhythmus ihrer Schritte. Nur der Ausdruck ihres Gesichts trübte ihre Vollkommenheit: eine deutlich erkennbare Miene der Enttäuschung und Geringschätzung.

„Ich bin die Hohepriesterin dieses Tempels“, sagte sie mit einer Stimme, die zwar kindlich, aber gewohnt war, gehört zu werden, „und Ihr seid derjenige, der den heiligen Felsen beschädigte. Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?“

Struggel stotterte: „Ich, ähm, es, aber, verzeiht, Frau Hohepriesterin, aber ich wollte nur die Ursache dieses Goldregens finden.“

„Das Gold ist ein wundersames Geschenk unserer Göttin. Da gibt es für Euch nichts zu finden.“

„J-ja ja, ich weiß, aber, seht Ihr, ich bin vom Volk der Trosh und wir Trosh glauben nicht an Eure Götter. Dafür kennen wir uns sehr gut aus mit Steinen und Höhlen und Quellen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine andere Ursache gibt und ihr lieben Menschen da einem großen Irrtum unterliegt… he he.“

Er grinste verlegen, doch die Miene der Hohepriesterin verfinsterte sich, und der unterdrückte Zorn der Dörfler steuerte gerade auf einen neuen Höhepunkt zu. Der Bärtige schlug zornig mit der Faust in seine Hand, und eine der Frauen begann erschüttert zu weinen.

Die Hohepriesterin gebot den Dörflern mit einer Handbewegung, Ruhe zu bewahren. „Was Ihr da sagt, kleiner Mann, verletzt uns zutiefst. Wie könnt Ihr so selbstsüchtig sein! Eure Zweifel sind wie ein Messer im Leib unseres Glaubens. Und damit nicht genug, ihr zerstört auch mutwillig das, was uns heilig ist!“

Struggel trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich fand immerhin heraus, Frau Hohepriesterin, dass es sich um Mankusgalganit handelt! Noch dazu sehr jungen! Dieses Gestein, müsst Ihr wissen, ist dafür bekannt, Goldadern hervorzubringen. Manchmal bilden sich auch Dämpfe von Mankurandilum im Inneren, und ich habe den starken Verdacht, dass diese Dämpfe mit den Goldadern insofern reagieren…“

„Genug!“, herrschte sie ihn an.

Jede Bewegung, jedes Flüstern im Tempel erstarb jäh; nur ihre Stimme echote lange zwischen den Alabastersäulen.

Struggels Kinn zitterte.

Eine Minute verging in absolutem Schweigen, ehe einer der Männer sich zaghaft erkundigte, was denn nun mit dem Trosh zu tun sei.

Die junge Hohepriesterin hatte lange nichts gesagt und erwachte wie aus einem Tagtraum. Sie blickte mitleidig in Struggels Glubschaugen. „Dieser hier ist nicht zu retten. Ein verzweifeltes Wesen, auf der Suche nach Geborgenheit, doch er hat jeden Glauben verloren. Es ist der Wille der Göttin, ihn sich selbst zu überlassen. Glaubt mir: Er, der er nicht zu glauben im Stande ist, hat nicht die Macht, das zu zerstören, was uns heilig ist.“

Sie wandte sich zu den Dörflern und schenkte ihnen ein melancholisches Lächeln. „Geht zurück, bringt den Leuten Freude, Spiel und Tanz. Der Trosh ist nicht euer Belang.“ Zu Struggel gewandt sagte sie mit trauriger Miene: „Er ist niemandes Belang.“

Dann drehte sie sich um und verließ die Cella mit langsamen Schritten.

Die Dörfler murmelten eine Zeitlang durcheinander und bedachten ihn mit finsteren Blicken, ehe sie nach draußen gingen. Der Bärtige hob zum Abschied eine buschige Augenbraue und schlug noch einmal mit der rechten Faust in die linke Hand.

Schließlich fiel Struggels Blick auf Learto. Er hatte hinter den Dörflern gestanden und den letzten Teil des Gesprächs betreten verfolgt.

Struggel schlurfte zu ihm und blinzelte ratlos, doch der Schmied schüttelte den Kopf. Dann legte er seinem kleinen Freund die Hand auf die Schulter und schob ihn sanft nach draußen.

Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!

Goldfall – Kapitel 05: Goldfall

Wie ein Tausendfüßer schob sich der Pilgerzug über den Rand des Plateaus.

Das erste, was Learto sah, war der Quell, dem Goldfall seinen Namen verdankte. Es war kein riesiger Wasserfall, aber er strahlte etwas Besonderes, Erhabenes aus. Das Rauschen, mit dem das Wasser aus der Felswand trat, war bescheiden, aber allgegenwärtig.

Gebäude waren halbkreisförmig um das Heiligtum angeordnet und bildeten den Hauptplatz, von dem wiederum zwei größere Wege ausgingen. Sie waren mit Bauernhäusern und Hütten gesäumt, vor denen Tische und Bänke in allen Größen und Formen standen. Allerorts hingen Girlanden und bunte Bänder, und es roch verführerisch nach gegrilltem Fleisch und Knoblauch. Lachende Gesichter, wohin man sah, und ganz zart hob sich vom Geräusch des Wasserfalles der Klang einer Harfe ab.

Learto fühlte sich auf einmal wie zu Hause, nur wohler. „Seht Euch das an!“, rief er begeistert, „Wein, Bier, Spanferkel, Spiel und Tanz und Musik, und diese vielen hübschen Frauen! Bei Lyreya, das ist ein Ort, an dem man heimisch werden könnte. Ich muss mich sofort erkundigen, ob man hier noch einen Schmied braucht. Wisst Ihr was, Struggel, ich… Struggel?“

Struggel war bereits in der Menge verschwunden. Der Eindruck, ein bekanntes Gesicht erspäht zu haben, hatte ihn in den Trubel hineingesogen. Nach einiger Zeit interessierte ihn plötzlich brennend, woher das ätherische Harfenspiel kam. Dann kostete er von Süßholz, starrte eine honigfarbene Katze in die Flucht und warf einem Standbetreiber, der geschnitzte Wasserfälle verkaufte, vor, die Dummheit der Menschen schändlich auszunutzen. Der Mann war verständlicherweise ziemlich verblüfft.

Dann passierte Struggel eine Gruppe von Leuten, die um ein Bierfass standen, laut lachten und derbe Scherze über ihn machten, Es war ihm nicht anzusehen, ob er wusste, dass er Mittelpunkt ihres Spotts war, denn er lächelte nur in ihre Richtung und ging schließlich weiter, bis er zum Dorfplatz kam, wo das dumpfe Plätschern wie ein weicher Teppich unter all den Gesprächen und dem Gelächter lag. Feine Tröpfchen hingen in der Luft und kitzelten Struggel in der Brust, als er sich dem Wasserfall näherte. Mit großen Augen blickte er die Felswand empor. Sie musste etwa dreißig Schritt hoch sein. Auf halber Höhe schwallte das Wasser aus dem Gestein und sammelte sich am Boden in einem Teich, der – wie Struggel als Angehöriger eines Höhlenvolks sogleich erkannte – einen unterirdischen Abfluss besaß.

Noch einmal blickte er nach oben. Er schirmte dabei die Augen ab, die für das Leben Untertage gemacht waren und nicht für strahlend blauen Himmel. Die Sonne warf rotgelbe Flecken auf sein Gesicht, während er vage Pfosten und Seile ausmachte, die parallel zum Rand der Felswand verliefen.

Struggel stemmte die Hände in die Hüften und bedachte den Felsen vor sich mit einem skeptischen Grunzen. Dann fasste er in seine Plane und holte Meißel und Hammer hervor; so klein, dass man sie für Menschenspielzeug halten konnte. Für ihn aber war es Werkzeug. Er nahm den Meißel in die linke, den Hammer in die rechte und trippelte zur Felswand. Dort, wo das Gestein trocken war, fuhr er mit den Fingern dem Wuchs entlang und setzte schließlich den Meißel an.

„Wollen doch mal sehen, welcher fauler Zauber hinter diesem angeblichen Wunder steckt…“, murmelte er zu sich selbst und schlug mit dem Hammer fest zu. Die Stelle war fachmännisch gewählt gewesen und riss nach nur einem einzigen Schlag mit einem lauten Knacksen über drei Ellen hinweg, bevor sie mehrere Handbreit tief vom Fels abbrach. Krachend fiel der Brocken zu Boden.

Struggel freute sich, als er die innere Struktur des Gesteins erkannte. „Wusst’ ich’s doch! Junger Mankusgalganit.“

Stimmen ließen ihn abrupt herumfahren.

„Was machst du da, Gnom??“, rief ein stämmiger Mann mit mehr Bart als Haar. Die Sorte Mensch, urteilte Struggel schnell, der man besser nicht in die Hände fiel.

Eine Frau hielt sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund. „Seht doch! Er hat den heiligen Felsen beschädigt!!!“

„Bei den Göttern! Der Wicht hat den Goldfall entweiht!!!“

„Das wird Lyreya nicht ungestraft lassen.“

„Wir alle werden dafür büßen!“

„Ersäuft den Frevler gleich im Teich“, schlug ein anderer vor.

Struggel wedelte mit den Armen und verteidigte sich mit einem Wortschwall der Verzweiflung, doch ehe er sich’s versah, stürzte man sich auf ihn, riss ihm die Tatwaffe aus der Hand und schleppte ihn davon.

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Goldfall – Kapitel 04: Die Legende

Goldfall lag einige Tagesreisen entfernt in den rotgesteinigen Ausläufern der Sichelberge. Früher einmal war es ein einsames Bergbauerndorf gewesen, zu dem ein schmaler Serpentinenpfad führte; heute aber war es eine landesweit bekannte religiöse Stätte. Learto, der aus dem Nordwesten Catoriens stammte, kannte Goldfall dem Namen nach, nicht aber seine Legende. Ein Mönch war daher so freundlich, ihm die Geschichte während des Aufstiegs nahezubringen. Einst, so erzählte er, habe sich dort ein Mädchen in den Bergen verirrt. Es sei ein überaus harter Winter gewesen…

„Tausend Schwerter schnitten in Haut und Kehle, und doch hatte das Mädchen nicht mehr anzuziehen als einen speckigen Leibrock, der sie vor Schnee und Eis schützte. Tagelang hungerte sie und leckte an gefrorenen Quellen, um nicht zu verdursten, doch als der Tod sich langsam und heimlich ihres Körpers bemächtigte, ließ sie sich an einem nahen Wasserfall nieder, betete zu den Göttern und sang ein letztes Lied. Doch niemand war da, um ihre wunderbare Melodie zu hören. Nicht einmal sie selbst hörte sie, denn der eisige Wind hatte ihre Ohren bereits betäubt. In diesem Augenblick der Verzweiflung erbarmte sich ihrer die Göttin Lyreya. Als Herrin der Künste und Bringerin der Freuden entschied sie, dass das Lied nicht umsonst erklungen sein sollte, und da sah das Mädchen plötzlich, wie sich im Wasserfall goldene Strähnen bildeten. Kurz darauf schwallte wunderbares pures Gold heraus, und wie von selbst glitt sie in den Teich, wo es sich in schimmernden Wogen sammelte. Göttliche Wärme durchflutete ihren durchfrorenen Körper und weckte sanft ihre tauben Glieder. Am nächsten Tag wurde sie von einem Bergläufer, der zufällig des Weges kam, gefunden und in Sicherheit gebracht.“

Learto war beinahe gerührt und applaudierte herzlich. „Wahrlich wundervoll erzählt, Mönch!“

„Findet Ihr nicht,“ ätzte hingegen Struggel, „dass in dieser Geschichte zu vieles zufällig geschieht?“

„Es gibt keine Zufälle, kleiner Mann“, belehrte ihn der Mönch mit samtiger Stimme, „nur göttliche Fügungen, deren Sinn wir Sterbliche nicht verstehen.“

„Aha“, schnappte Struggel, „ich verstehe in der Tat einiges nicht. Warum läuft ein Menschenkind mutterseelenallein im Winter durch die Berge? Wie kann sie singen, wenn sie nicht hören kann? Und das mit dem flüssigen Gold…“

„Es ist eine Legende, Struggel, eine Legende!“, warf Learto dazwischen.

„Es ist mehr als das“, verbesserte der Mönch. „Offensichtlich wisst Ihr nicht, dass sich das Wunder des Goldfalls seit diesem Tage in jedem Jahr um dieselbe Zeit wiederholt.“

Learto stutzte. „Ihr meint, wir reisen nicht an, um an einem Wasserfall zu beten, sondern um mit eigenen Augen zu sehen, wie Gold aus einem Felsen sprudelt?“

Der Mönch nickte, Leartos Verblüfftheit sichtlich genießend.

Der Schmied strahlte über das ganze Gesicht und dankte den Göttern, dass man ihm sein Gold gestohlen hatte; andernfalls hätte er sich dem Pilgerzug nie angeschlossen.

Als der Mönch sah, wie Struggel die Augen verdrehte, schalt er ihn ob seiner mangelnden Ehrfurcht, doch der Trosh reagierte unbelehrbar:

„Ich mag zwar klein sein, Herr Mönch, aber dumm bin ich nicht. Ich habe in meinem Leben bisher noch nichts gesehen, dass mich an Eure Götter glauben ließe, und gewiss werden absurde Märchen von sterbenden Mädchen und goldenen Wasserfällen daran nichts ändern.“

Der Mönch hob den Zeigefinger: „Wenn erst das Wunder von Goldfall geschehen ist, werdet Ihr anders denken.“

„Ja, ja“, krähte Struggel und trat einen kleinen Stein zur Seite, „es sei denn, ich beweise Euch, dass alles nichts weiter ist als fauler Zauber. Dann werdet Ihr es sein, der anders denkt.“

Der Mönch fegte den Einwand mit einer Handbewegung hinweg, schnaubte verächtlich und beschleunigte seinen Schritt.

„War das wirklich nötig, Struggel? Habt Ihr keine Achtung vor dem, was anderen Leuten heilig ist?“

Struggel blickte mit einer Miene von Unverständnis auf, sagte aber nichts weiter.

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Goldfall – Kapitel 03: Der Pilgerzug

Unter den Strahlen der Frühlingssonne schmolz der letzte Schnee zu glitzernden Bächen, die sich über sanfte Böschungen ergossen und sich auf der Straße in langgezogenen Pfützen sammelten.

Mehr als hundert Paar Füße stapften über den aufgeweichten Lehm dahin. Manche waren mit kostbarem Leder beschuht, andere mit geschnürten Sandalen, manche steckten in schweren Stiefeln, andere wiederum waren barfuß. So schob sich der Zug der Pilger behäbig gen Norden, und in jedem Dorf wurde er länger. Als stimmgewaltiger Chor kündigte er sich weit im Vorhinein mit religiösen Liedern an, und am Rande der Dörfer warteten Schaulustige und Neugierige, um zu winken, zu singen und zu beten. Kein Tor blieb ihnen verschlossen, kein Dach über dem Kopf verwehrt, und kein Zöllner wagte es, ihnen Geld abzunehmen.

Das Schlusslicht bildete ein ungleiches Paar. Der eine, Learto, war ein stämmiger Mann mit blondem Haar, das hinter dem Kopf zusammen gebunden war. Seine Habe hatte er in einem Sack über die Schulter geworfen, und in der anderen Hand hielt er einen schweren Schmiedehammer. Der andere, Struggel, war klein und gnomenhaft und hatte sichtlich Mühe, Schritt zu halten. Mit zerbrechlichen Ärmchen schleppte er seine Lederplane hinter sich her, und zwischen seinen schütteren Haarsträhnen hingen feine Schweißperlen. Ständig zeterte er vor sich hin und schimpfte über die Menschen mit ihren langen Beinen und ihre Ignoranz gegenüber anderen, vor allem kleineren, Rassen.

„Es reicht. Hört endlich auf zu jammern!“

„Ihr habt leicht reden, Meister Schmied“, japste Struggel und blieb im Schatten eines überhängenden Baumes stehen, „Eure Beine sind länger als mein ganzer Körper. Und nachdem Ihr nicht lesen könnt, braucht Ihr wohl auch keine Bücher zu schleppen.“

„Mir fiel nie auf, dass Euch das Gewicht Eurer Bücher so zu schaffen macht.“

„Was mir zu schaffen macht, Meister Schmied, ist dieser Haufen seltsamer Menschen mit ihren grauenvollen Gesängen und all den wohlmeinenden Worten.“

„Zumindest glauben diese Leute an etwas Größeres. Anders als Ihr!“

„Das ist nicht korrekt,“ keuchte der Trosh, „ich glaube an die Errungenschaften meiner Ahnen und an alles, was sich in Stein meißeln lässt.“

Da rief die beiden eine Stimme von weiter vorne und bedeutete ihnen, aufzuschließen.

„Wer weiß“, sagte Learto angesichts des Gebirges, das im Norden vor ihnen aufragte, „vielleicht werdet Ihr ja in Goldfall Euren Glauben finden.“

Struggel blickte verwirrt auf. „Goldfall? Ich dachte, wir wollten in die Königsstadt?“

Learto blinzelte gegen die Sonne. „Catystis wird warten müssen. Wenn uns die Götter schon einen Weg schenken, dann sollten wir ihn zu Ende gehen.“

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Goldfall – Kapitel 02: Aufbruch

Morgengrauen. Leartos Schrei weckte auch diejenigen, die bis dahin tief und fest geschlafen hatten. Wie ein tobendes Mammut durchwühlte er seine Sachen und auch gleich die der Leute, die neben ihm lagen, doch das Gold – sein Gold! – war und blieb verschwunden.

„Verdammtes Gesindel!“, fluchte er, wischte sich die blonden Strähnen aus dem Gesicht und keuchte vor Aufregung, bis ihm auffiel, dass auch sein Reisegefährte fehlte. „Struggel!“, rief er. „Struggel! Wo seid Ihr?“

Ihn würde doch gewiss keiner gestohlen haben.

Learto riss seine Sachen an sich und schritt zorngeladen aus der Wegestation. Von der Türe aus sah er seinen kleinen Begleiter am Gatter eines Schweinegeheges, wo er munter mit den Tieren redete. Als er seinen Namen rief, wandte sich Struggel um. Wie immer, war seinem Gesicht nicht zu entnehmen, was er gerade dachte oder fühlte.

„Könnt Ihr Euch das vorstellen,“ rief Learto schon von weitem, „ich bin bestohlen worden! Sagte ich Euch nicht, dass uns in dieser Wegestation nichts Gutes erwarten würde? Es ist zum aus der Haut fahren! Wie kann nur jemand das heilige Gastrecht so mit Füßen treten! Wenn ich denjenigen erwische, dann, dann….“

Struggel, der Trosh, stand nur da und blinzelte unbeteiligt mit seinen Glubschaugen. Dann umfasste er die Riemen einer kleinen ledernen Plane, in der er sein Zeug herumzuschleppen pflegte. „Auch Euch einen schönen guten Morgen, Meister Schmied! Ich sehe, Ihr könnt es gar nicht erwarten, weiterzuziehen!“

„Das könnt Ihr laut sagen.“ Er drehte sich zur Wegestation und rief: „Miese Spelunke!“

Dann erst kam ihm zu Bewusstsein, dass er ohne Geld wohl nicht weiterreisen können würde. „Oh nein!“, rief er, förderte drei, vier Kupfermünzen aus seinen Beinlingen hervor und stampfte ärgerlich mit den Füßen auf. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Mit den paar Cupath komme ich nicht mal bis zur nächsten Zollstation, geschweige denn, auch nur einen Schritt weiter! So ein Mist!“

„Heißt das, wir ziehen nicht in die Königsstadt?“

Learto blickte verkrampft auf den kleinen Weiler.

„Sieht fast so aus. Ich werde mir hier wohl eine Esse suchen und etwas Geld verdienen müssen. In einigen Wochen sollte ich dann genug beisammen haben, um Euch nachzureisen.”

„Aber nicht doch! Ich werde für Euch aufkommen!“, bot Struggel freundlich lächelnd an, doch Learto lehnte ebenso freundlich lächelnd ab: „Habt Dank, aber Ihr solltet mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich kein unverdientes Geld annehme. Der Herr Payaon gibt’s, der Herr Payaon nimmt’s. Wenn ich hier für den nächsten Mond festsitze, dann soll es wohl so sein.“

Learto blickte resigniert auf die Leute, die aus der Wegestation strömten und sich – anders als er – auf den Weg machten. Es waren Alte, Junge, Frauen, Männer, Arme und Reiche…

„Moment mal…“

Struggel hatte offenbar gerade dasselbe gedacht. Zeitgleich fragten sie sich, wie sich diese Leute die Weiterreise leisten konnten. Dann erkannte Learto, dass sie alle die Farbe Orange am Körper trugen – manche mit Tüchern, andere in ihren Kleidern, in Bändern oder auf bemalten Anhängern.

„Das ist es!“, rief Learto. „Es sind Pilger!“

„Ja, und?“

„Nach altem Brauch brauchen Pilger keine Zölle zu zahlen!“

Leartos schlechte Laune war wie weggeblasen. Er schulterte seinen Sack.

„Auf geht’s, Struggel!“

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