Warum Flair-Proben nicht funktionierten

Als pessimistische Proben mit dem W66 Einzug in DESTINY hielten, war klar, dass es auch optimistische Würfe geben musste. Ich überlegte also, welche Art von Proben denn dadurch besonders gefördert werden sollten und kam – vermutlich ein wenig inspiriert durch den Bonuswürfel bei 7th Sea – zum Ergebnis: Flair-Proben!

Wir testeten also die Regel, dass “Proben, die nur zum rollenspielerischen Ausdruck des SC abgelegt würden”, optimistisch zu würfeln seien. Klang gut, gefiel den Spielern auch, zumal sich die Chancen durch das Deuten des niedrigeren W6 als Zehnerstelle dramatisch verbesserten. Dadurch sollte der Gaukler am Marktplatz auch mal einen Salto schaffen, der Magier sich per Telekinese Wein nachschenken und der Glücksritter erfolgreich mit der Magd anbandeln können. Keine Angst mehr vor peinlichen Misserfolgen bei der Probe. Fein!

Soweit die Theorie. Dass es diese Regel heute in DESTINY nicht mehr gibt, hat mehrere Gründe: Wie uns im Spiel immer mehr klar wurde, war die Grenze zwischen Flair-Proben und sonstigen Proben nicht so scharf, wie wir gehofft hatten, und rein rollenspielerische Proben kamen eigentlich gar nicht so oft vor, wie ich es mir erhofft hatte. Auch sorgte die Flair-Proben-Thematik insofern für Unmut, als die Spieler immer wieder mit dem “Trick” kamen, eigentlich story-relevante Proben als “Flair-Proben” zu verkaufen. Diskussionen, Diskussionen.

Das hätte man vielleicht noch alles als runden-spezifisch abtun können, aber das Konzept  der Flair-Proben hatte einen ganz gravierenden Nachteil, an den ich zunächst nicht gedacht hatte: Ein und dieselbe Aktion gelang dann, wenn sie quasi überflüssig war, wesentlich öfter, während sie tendenziell scheiterte, wenn es ans Eingemachte ging. Nun ist es zwar tatsächlich so, dass wir alle im Angesicht von Angst und Stress dazu neigen, den Kopf zu verlieren und Dinge in den Sand zu setzen, aber mal ehrlich: Wer möchte einen Helden spielen, der sich nur im sicheren Hafen eines Marktplatzes oder Lustgartens auf seine Fähigkeiten verlassen kann?

Also Flair-Proben adieu. Heute gibt es optimistisches Würfeln im Regelwerk zwar immer noch, aber nicht für Flair-Proben, sondern für den Einsatz von Talenten und Affinitäten. Und wenn einer der SCs mal unheimlich viel Flair hineinbringt, dann habe ich als SL immer noch eine ganz abgedrehte Maßnahme auf Lager: Ich verzichte auf die Probe und erkläre seine Aktion einfach für gelungen.

Der Unterschied zwischen Live und Larp

Schon die Ausgangslage des gestrigen Blind Dates war anders. Im Unterschied zu den Kontaktsuchenden, mit denen ich mich bisher traf, war Dennis kein Anfänger. Ich traf mich nicht mit ihm, um ihn für meine geplante Anfänger-Runde zu akquirieren, sondern weil er unheimlich freundlich geschrieben hatte, Kekse mitbringen wollte und hervorstrich, wie toll er es fand, mit Neulingen zu spielen.

Da saßen wir nun im Café (für die Abendsonne war es diesmal schon etwas zu spät) und plauderten über alles Mögliche, bemüht, das seltsame Gefühl, das mit solchen Blind Dates einhergeht, irgendwie zu übertünchen. Ich erzählte etwa von meinem Trauma mit einem gnadenlosen Spielleiter, der mir AD&D verleidet hatte, und Dennis’ erklärte mir mit leuchtenden Augen den Unterschied zwischen “Live” und “Larp”.

Also: Ein “Larp” (= Live Action Role Playing) ist das, wo die Leute mit Latex-Schwertern bewaffnet durch den Wald laufen und wo weitgehend gilt: Was du als physische Person machen kannst, das kannst du auch als Character. So auf Bäume klettern und so. Ein “Live” hingegen ist ein Event, bei dem die Leute sich aufwändig gewanden und dann in einer dekorierten Location Szenen spielen. Ich bin mir nachwievor nicht sicher, ob ich’s richtig verstanden habe, aber auf mich wirkte es wie ein klassisches Rollenspiel, nur mit mehr Körper- und Materialeinsatz.

Wie auch immer – der Punkt ist: Eine Stunde, ein Schnitzel und einen Backhendelsalat später hatte es Dennis geschafft, dass ich ihn unbedingt in meiner Anfänger-Runde haben wollte. Irgendwie schlug er mich mit seiner lebendigen und doch ruhigen und bescheidenen Art in den Bann. Und er hatte natürlich ein paar gute Argumente, warum ein weiterer erfahrener Spieler einer Anfänger-Runde ganz gut täte: Zum Beispiel könne er bei Regelfragen manuduzieren und den Spielern generell vorzeigen, wie man Charaktere im Rollenspiel verkörpern kann.

Man kann also sagen: Dennis’ Charisma-Probe war höchstgradig gelungen. Und endlich den Unterschied zwischen “Live” und “Larp” zu kennen, war nur das Sahnehäubchen meines gestrigen Abends.

Von Pessimismus und Paraden

Ich gebe zu, ich bin DSA-geprägt. Ich erfinde immer wieder Systeme, in denen der Verteidiger die Chance hat, einen Treffer, der dramatisch bedrohlich im Raum schwebt, mit einem Würfelwurf gerade noch im letzten Augenblick zu vermeiden. Das gehört für mich einfach dazu. Das Problem an einem eigenen Parade/Ausweichen/Verteidigen/Blocken/whatever-Wurf ist allerdings, dass er zu Pattsituationen führt, wenn er nicht eine signifikant niedrigere Erfolgswahrscheinlichkeit hat.

Das Problem. “Treffer – pariert! Treffer – pariert!” ist der Albtraum eines jeden DSA-Spielers und macht nur im Film Spaß, wenn z.B. Kalidos und Red Sonja einander zur Erschöpfung treiben. Man kann dem nun durch Regelkrücken beikommen (Finten, Ausdauer-Schaden, Malus oder halbierte Werte o.ä.) oder das D&D-Prinzip quasi umdrehen, indem man Attacken von vornherein als gelungen betrachtet und nur die Paraden würfelt (ein interessanter Ansatz, mit dem mein Freund Markus gerade in TRiAS experimentiert).

Die Lösung. Für das eher traditionelle DESTINY stellte sich indes die Frage: Wie kann ich die Erfolgschance einer Parade senken, ohne dass ich den Spielern Kopfrechnen oder Rundungsprobleme zumute? Plötzlich fiel mir die geeignete Regel wie Schuppen von den Augen: Der Würfelwurf mit dem W66 (bei dem normalerweise der dunklere W6 als Zehnerstelle gelesen wird) ist in der Verteidigung so zu deuten, dass der höhere Sechsseiter die Zehnerstelle darstellt.

Die Analyse. Mein guter Freund Roland reagierte (wie immer) misstrauisch und analysierte dieses “pessimistsiche” Verhalten des W66 im Excel. Er wies nach, dass es für SCs mit niedrigem Kampfwert ein (relativ gesehen) stärkerer Nachteil war als für Profis. Hm… in solchen Fällen heißt es, Design-Entscheidungen zu fällen. Ist dieser Effekt erwünscht, oder sollen Anfänger eher geschützt werden? Ich meine nein, zumal Anfänger-SCs meist gegen Anfänger-NSCs kämpfen. Der gelernte DSA-Spieler kennt das Phänomen, das dabei droht: “Nicht getroffen. Nicht getroffen. Nicht getroffen. Getroffen! – Pariert! Scheiße…”

Demgegenüber spricht einiges für den relativen Vorteil des Profi-SCs: Er bekommt es mit mehreren NSCs zu tun, oft auch mit stärkeren NSCs, die Bindung zum Spieler ist bereits größer, und unrealistisch ist es ja auch nicht, dass ein Profi seine Reflexe besser beherrscht. Mir begann das pessimistische Würfeln immer besser zu gefallen, je mehr wir es analysierten!

Der Test. Im Test erwies sich das Prinzip als durchaus intuitiv. Damit war die letzte potenzielle Hürde genommen. Das “pessimistische Würfeln” wie auch sein Gegenpol, das “optimistische Würfeln”, waren aus der Taufe gehoben und sollten sich bis heute (mittlerweile 8 Jahre lang) im Kernregelwerk bewähren. Leider fielen mir nie bessere Namen dafür ein. 🙂

Blind Date mit spontaner Erkenntnis

Seit einiger Zeit treibe ich mich in (z.T. scheintoten) Foren herum, um neue, jüngere Menschen kennen zu lernen und Anfänger-Runden aufzubauen. Gestern waren Julia und Simon dran: er ein relativer Neuling, sie keinerlei Erfahrung mit dem Genre – sehr erfrischend! So saßen wir also gemütlich im von abendlichem Sonnenlicht durchfluteten Café und plauderten über Erwartungen und gemeinsame Terminlage – und während wir das taten, kamen mir plötzlich einige Erkenntnisse.

Zum Beispiel war ich überrascht, wie leicht es heute ist, nette Menschen kennen zu lernen, die dieselben Interessen haben. Als ich Mitte der 80er mit Rollenspielen begann, war das für viele noch ein “peinliches” Hobby, über das man besser nicht sprach. Und Kontakte schließen war, wenn überhaupt, nur über Vereine möglich. Das Internet, das muss man schon sagen, macht das doch deutlich leichter.

Dann erzählte Simon, dass er in Oberösterreich viele Jahre lang keinen Anschluss gefunden habe, und wir sinnierten darüber, ob sich die österreichische Rollenspieler-Armut auf die doch deutlich niedrigere Einwohnerzahl zurückführen lässt (Ö 8 Mio, D 81 Mio), oder vielleicht – so Julias spontane Erklärung – es an den längeren/härteren Wintern im hohen Norden liegt? Quatsch? Ich weiß nicht – ist es nicht denkbar, dass die Tradition des Geschichtenerzählens in D tatsächlich einen anderen Stellenwert hat als in Ö?

Die dritte Erkenntnis des Abends kam für mich, als ich Julia in drei Sätzen zu erklären versuchte, wie sich P&P-Rollenspiel von Computer-RPGs unterscheidet. Früher hätte ich unreflektiert hervorgestrichen, dass hier ein Mensch den Spielleiter macht und man als Spieler größere Freiheiten hat. Doch der USP, der aus meinem Mund kam, war erstaunlicherweise ein anderer, nämlich dass jeder Spieler ein Erzähler ist und gemeinsam eine Geschichte entsteht.

Wie schon gesagt, sehr erfrischend!

Die Macht der Vision

Okay, vielleicht habe ich zu viele Motivations-Bücher gelesen, aber ich bin überzeugt davon, dass ein Projekt, und nichts anderes ist die Entwicklung eines Rollenspiels, nur gelingen kann, wenn der Designer auch weiß, wohin er damit will.

Ich behaupte das deshalb, weil ich es selbst Jahre lang falsch gemacht habe. Ich begann mit meinen ersten Entwürfen aus der Absicht heraus, ein mir lieb gewonnenes System mit drei Buchstaben (hüstel) abzulösen, weil es einfach viele Nachteile hatte, mit denen ich nicht mehr leben, ähm: spielen wollte. Vielleicht galt es auch zu beweisen, dass mir solche Fehler beim Entwickeln nicht passieren würden. Har, har.

Eine erste Lektion in Sachen Vision lernte ich, als ich das System (damals noch mit dem Arbeitstitel “Portal”) mit meinem alten Freund Felix zu entwickeln begann. Wir beide kamen aus derselben rollenspielerischen Ecke, er lehrte mich spielleiten und rollenspielen, und er war (und ist) ein Ausbund an kreativen Ideen. Gute Voraussetzungen, sollte man glauben. Das Problem war nur, dass wir dauernd faule Kompromisse schließen mussten. Ich verkündete Felix also schweren Herzens, dass sich unser beider Wege entwicklungs-technisch trennen würden, und werkte fortan als Einzelkämpfer.

Trotzdem hatte ich noch keine richtige Vision. Ich dachte, ich hätte eine, aber so war’s nicht. Also verbesserte ich Jahre lang unser, nunmehr: mein System, nur um am Ende drauf zu kommen, dass ich eigentlich dort gelandet war, wo ich angefangen hatte: bei einer besseren Variante des Systems mit den drei Buchstaben. “Heartbreaker! Pfui!”, hörte ich die Menschen da draußen schon rufen und musste mir eingestehen, dass die Qualität, die mein System zweifellos hatte, wohl nie gewürdigt werden würde. So ist das Leben nun einmal.

Spät, aber doch, begann ich umzudenken. Ich wusste, dass das optimale System für mich nicht das optimale System für die Menschen da draußen sein würde. Schluss also mit dem Ego-Trip – nun begann der Dienst an der Menschheit! Ich las Bücher über Visionen und Alleinstellungsmerkmale und verwendete viel Zeit darauf, mir zu überlegen, was ich denn eigentlich erreichen wollte.

Kaum folgte ich meiner Vision (nachzulesen auf aceofdice.com), entwickelte sich mein System viel schneller und reichhaltiger. Eines fügte sich wie magisch ins andere. Und es war auf einmal viel leichter, all die Stimmen von außen – wohlmeinende Freunde, über-analytische Testspieler, unsensible Forenschreiber – konstruktiver zu verwerten. Während ich zuvor dazu tendiert hatte, es wirklich jedem Recht machen zu wollen, nahm ich nun Feedback nur noch dann an, wenn es nicht im Widerspruch mit meiner Vision stand.

Ich erkannte, dass es eben nicht darauf ankommt, das perfekte System zu schaffen, sondern darauf, eine Vision zu haben. Und ihr treu zu bleiben.

Der äußere Feind

Ein guter Freund lud gestern anlässlich eines runden Geburtstags zu einem Wettstreit seiner Rollenspiel-Runden. Sonntagsrunde durfte gegen Montagsrunde antreten, und der Sieger würde sich wiederum mit der Samstagsrunde matchen. (Glücklich ist, wer Zeit für so viele Runden hat…)

Bei Dickmanns-Staffel-Essen ohne Gebrauch der Hände, Autorennen auf der Wii und Um-die-Wette-BLUFF-en stellte sich zu meiner Überraschung zeitweise ein Zusammengehörigkeitsgefühl ein, das ich im Rollenspiel nur selten erlebe – eigentlich kann ich mich gar nicht erinnern, es dort jemals in der Form erlebt zu haben. Warum ist das so? Könnte es daran liegen, dass Spielleiter zu neutral agieren? Oder ist Rollenspiel per se nicht geeignet, einen derartigen Zusammenhalt heraufzubeschwören? Oder liegt es einfach nur daran, ein ordentliches Feindbild zu schaffen? Wenn ja, welcher NSC kann jemals so schrecklich sein wie die lachenden, brüllenden, schadenfrohen Spieler aus dem gegnerischen Team?

Die Entstehung einer Idee

Schon witzig, was einem als Designer alles unterstellt wird. Im Forum wurde letztens behauptet, DESTINY verwende nur deshalb Sechsseiter, um den Kunden zu suggerieren, dass es einfach und anfängertauglich sei. In Wahrheit kam mir die Idee mit dem W66, der ja irgendwie den Kern des DESTINY-Regelwerks ausmacht, lange bevor ich überhaupt daran dachte, mit meinen Spielen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Gründe waren in der Tat ganz andere…

Ich entwickelte bereits einige Jahre lang ARACLIA auf Basis einer anderen Engine, die heute wohl als “Heartbreaker” bezeichnet würde. Mir selbst wurde damals zum ersten Mal klar, dass dieses super funktionierende System wenig “Flair von Originalität” haben würde. Ich bekam also meine erste große Schaffenskrise und überlegte gar, die Entwicklung des unter dem Arbeitstitel “PORTAL” firmierenden Systems einzustellen und meine Design-Ambitionen auf Eis zu legen.

Das Eis schmolz allerdings sehr schnell dahin, denn kaum hatte ich damit aufgehört, über PORTAL nachzudenken, war da plötzlich eine neue Idee: Inspiriert von der Vorstellung, diesmal ein möglichst einfaches System zu basteln, müsste es doch möglich sein, Würfelwürfe einzusparen, unterschiedliche Arten des Würfelns einzuführen und gleichzeitig eine Granularität zu erreichen, die mehr böte als die 5%-Schritte des W20, aber nicht so “technokratisch” anmutete wie ein W100 bzw. W%.

Geboren ward der W66. Mit 36 Ereignissen lag er perfekt zwischen diesen beiden Würfelikonen. Und: Das Ergebnis ließ sich nicht nur in Form von [Zehnerstelle|Einserstelle] deuten, sondern auch die Würfelsumme konnte interpretiert werden. Aber es kam sogar noch besser: Die Würfelsumme kulminierte dank der Glockenkurve zwischen 6 und 8, womit Ausreißer nach oben und unten eher selten sein würden, so wie ich es mir für ein Erfolgswert-System erwartete. Boah! Noch dazu ließ sich dieser Erfolgswert super-einfach berechnen. Was heißt berechnen, er sprang einem praktisch direkt ins Auge!

Zur Freude meiner Spieler musste das neue – damals noch sehr rudimentäre – System natürlich gleich ausprobiert werden. Die Faszination war wesentlich größer als bei all meinen bisherigen Ansätzen. Damit stand fest, dass DESTINY nicht als Schnellschuss in der Schublade verschwinden, sondern intensiv weiter entwickelt würde.