Wie tabu ist der SC für den SL

Für mich war immer eine ungeschriebene Regel im Rollenspiel, dass das Gebaren eines Spielercharakters für den SL tabu ist, sprich: Ein SL sollte nicht diktieren, wie sich ein SC fühlt, was er tut, schon gar nicht, was er sagt. Typisches Beispiel für ein solches Eingreifen ist der misslungene Moralwurf, bei dem der SL wohl versucht ist, aber nicht bestimmen sollte, ob ein SC schreiend das Weite sucht oder sich ängstlich zusammen kauert.

Unlängst ist mir bewusst geworden, dass diese allgemein recht hoch gehaltene Integrität ohnehin schon ziemlich ausgehöhlt ist. Mir z.B. passiert es ständig, dass der SL in meine “Spielersphäre” eingreift. So würfle ich z.B. nach einem durchaus vielversprechend rollengespielten Gespräch auf Charisma, verhaue die Probe, und der SL erfindet, dass ich irgendwie nicht den rechten Ton treffe. Arrg. Oder ich weiß als Spieler genau, dass sich hinter dem Vorhang jemand versteckt, aber ich darf nicht danach handeln, weil mein SC seine Wahrnehmungsprobe versemmelt hat. Arrg. Oder ich springe auf ein Pferd, um einem Gegner nachzujagen, und mein SC bringt sich halb um bei dem Versuch, in den Sattel zu steigen, weil ich die Reiten-Probe nicht schaffe. Arrg.

All diese Dinge sind für mich “charakter-verfremdend” oder “-entfremdend”. Sie hindern mich daran, mich mit meinem Charakter zu identifizieren, zumindest ein Stück weit. Ich habe mir daher fest vorgenommen, als SL in Zukunft bewusster auf diese Kleinigkeiten zu achten und auch in eher simulationistischen Systemen möglichst wenig in die Spielersphäre einzugreifen. In obigen Beispielen z.B. würde ich vielleicht auf die Probe verzichten oder, im Falle des Reitens, eher das Pferd bocken lassen als dem SC abzusprechen, behende in den Sattel zu springen. Nach dem Motto: Das Pferd gehört dem SL, der SC aber dem Spieler.

Ein Blick auf Dragon Age

Meine Hemmschwelle beim Kaufen neuer Rollenspiele ist relativ hoch, seit ich selbst welche entwickle. Für Dragon Age hab’ ich aber eine Ausnahme gemacht. Und ich bin nicht enttäuscht worden, weshalb ich gerne meine Ersteindrücke kundtun möchte:

  • Die Box selbst ist ziemlich retro: 3 sechsseitige Würfel, 2 Softcover-Büchlein (eines für den GM, eines für die Spieler), 1 Landkarte. Die dunkle, aber farbkräftige Aufmachung verheißt Hochglanz-Dark-Fantasy.
  • Der Player’s Guide ist genial aufgebaut: Zwischen den Regeln findet man Anekdoten und Verweise zu Völkern und Geschichte. Alles wird in appetitlichen Happen serviert, selbst Skills (hier: Focus) und Spells sind überschaubar.
  • Inhaltlich ist gerade das Nötigste vorhanden. Wer außer Ferelden noch anderswo in Thedas spielen oder seinen SC über die 5. Stufe bringen will, muss auf Box 2 warten. Das zielt wohl auf Einsteiger und Umsteiger mit engem Zeitbudget ab.
  • Die Regeln haben einen traditionellen Kern: Proben mittels 3W6 + Boni >= Target Number, Attribute und Fertigkeiten (Focus) werden zu Beginn erwürfelt, Charakterklassen und Völker werden ausgewählt.
  • Die Details sind durchdacht: einer der 3W6 ist dunkel und fungiert als Erfolgswert und Tiebreaker, Proben funktionieren in und außerhalb des Kampfes gleich, Pasche bringen Vorteile (Stunts), Regeneration durch Durchatmen zwischen Encountern, keine Save-or-die-Effekte bei den Spells, Rüstungen erhöhen Mana-Kosten und und und. Da ist einiges an Knowhow eingeflossen.
  • Der Game Master’s Guide enthält neben Regeldetails und einem Abenteuer wertvolle Tipps zur Spielleitung, sogar auf Gruppendynamik und Spielerkonflikte wird eingegangen. Auch hier merkt man, die Designer beherrschen ihr Handwerk.

Bei mir hat Dragon Age einen Nerv getroffen. Stimmung und Welt sind schlüssig, die Rolle der Elfen und Zwerge ist mir originell genug, Regeln und Background sind so kompakt, dass sie mich nicht abschrecken, und der Text ist extrem gut geschrieben und gegliedert. Die Illustrationen sind top (mir zumindest gefallen sie mehrheitlich), und das Regelsystem ist traditionell und fortschrittlich zugleich. Ich finde keinen Grund, es nicht zu spielen.

Merlin + Rome = Camelot

Ich gebe zu, ich bin ein Fan der Serie Merlin. Herrlich naiv auf den ersten Blick, unrealistisch bunt, soapig und manchmal ein bisschen “billig”, was Effekte und Kulissen angeht. Aber sie haben gute Drehbücher und verstehen es, die Charakterinteraktion in den Vordergrund zu stellen. Hätte auch nie gedacht, dass mir Giles-Darsteller Anthony Head als King Uther so herrlich unsympathisch sein könnte.

Ich bin auch ein Fan von Rome, hauptsächlich weil ich ein Antike-Freak bin und Latein in der Schule lieber als alle anderen Fächer hatte. Aber auch, weil die Serie super recherchiert ist und extreme Tiefe aufweist. Hier kommt zu einem guten Drehbuch auch noch der Faktor Sex & Violence. Dazu muss man wohl nichts mehr sagen.

Und nun kommt die Kreuzung aus beiden: Camelot. Trotz des ausgelutschten Stoffs ist die neue TV-Serie durchaus interessant, zumal reich an Kulissen, Naturaufnahmen und Stars (Eva Green, Joseph Fiennes). Und sie bringen Arthur, Morgana und Merlin in neuem Licht: Merlin ist mittleren Alters, schweigsam und ein kühler Stratege, Morgana war niemals weiblicher und sinnlicher, und Arthur – ja, Arthur schafft den Spagat zwischen jungenhafter Kühnheit und Überforderung ziemlich gut. Script und Dialoge sind Klischee-beladen, aber man erleidet keine dauerhaften Schmerzen dabei. Neu ist die Grundstimmung: dunkle Wälder und Gemäuer, Nacktszenen, Hinrichtungen, ergreifendes Drama und mein persönliches Highlight: Camelot als von Pflanzen und Moosen überwucherte Ruine. Erfrischend.

Die ersten beiden Folgen waren kurzweilig und inspirierend. Ein Meilenstein? Vielleicht nicht, aber gute Unterhaltung für erwachsene Kinder, die wir Rollenspieler ja bekanntlich sind.

Sinnesschärfe im Spotlight

Gestern kam die Frage: Wie spiele ich denn Sinnesschärfe  aus, ohne die Würfel zu bemühen? Gute Frage, die mich daran erinnert, dass das Thema Wahrnehmungs-Skills eine der härtesten Nüsse war, die ich bei der Entwicklung von Destiny zu knacken hatte, zumal auch wir beim Testen der ersten Entwürfe bemerkten, was wir von DSA schon kannten, nämlich dass gefühlte 25% aller Proben Sinnesschärfe-Proben waren. Das war mir als Entwickler ein Dorn im Auge, denn bei mir sollte kein Skill derart dominieren.

Kurios ist, dass es in DSA1 keine Sinnesschärfe  gab. Da waren MU, KL, CH, GE und KK, aber ich glaube nicht, dass das Buch der Regeln Wahrnehmung unter eine der Eigenschaften subsumierte. Wie spielten wir also? Wir beschrieben wohl mehr, worauf wir achteten, SC-Wahrnehmung hatte schlicht wenig Bedeutung. Fallen waren Fallen, die man nicht kommen sah, es war wichtiger, wie man darauf reagierte. Aus Überfällen war einfach das Beste zu machen, und Geheimtüren und Schätze fand man mittels Zwergennase.

Heute hingegen ist v.a. das Verständnis der Spieler von ihren SCs ein anderes. Glauben wir ein Anrecht auf eine rettende Probe zu haben, um uns geistig-seelisch für das zu wappnen, was auf uns zukommt? Oder vielleicht um als Spieler weiterhin das Hirn ausgeschaltet zu lassen und unsere Charaktere walten zu lassen?

Als SL achte ich mehr und mehr darauf, die obligatorischen Wahrnehmungs-Proben zurückzufahren. Das bedeutet vor allem Informationen ohne Probe herzugeben, was für die Story ohnehin oft besser ist. Kurioserweise wundern sich die Spieler dann, dass sie nicht würfeln müssen. Und wenn ich sage: “Im trockenen Waldboden findest du in der Nacht ohne Fackel vom Pferd aus sicher keine Spuren, vergiss es”, reagieren sie mit: “Nicht einmal bei einem Glückswurf??” Da ist also noch Arbeit zu leisten.

Systemseitig gibt es in Destiny jedenfalls keine dedizierte Wahrnehmung, gewürfelt wird auf das thematisch betroffene Intelligenz-Attribut: INT/Natur, wenn es darum geht, einen Vogel am Horizont als Drachen zu erkennen, oder INT/Gesellschaft, wenn man die Schweißperle auf der Stirn des Hochstaplers bemerken soll, INT/Kampf, wenn man einen Hinterhalt entdecken will oder INT/Magie, wenn einem Runen in Ornamenten oder Pilzkreise auf einer Lichtung auffallen sollen. Theorie und Wahrnehmung sind hier also gekoppelt. Damit habe ich zumindest systemseitig eine Streuung erreicht. Mehr kann ich nicht tun, um der Allmacht der Wahrnehmung entgegen zu treten.

Rollenspiel Marke alte Schule

Meinen Artikel Die guten alten Zeiten schloss ich damit, dass ich das Dokument der Stärke heute nicht mehr befüllen würde. Dazu stehe ich nachwievor, aber ich kann nicht leugnen, dass mich das Thema Old School-Gaming (OSG) fasziniert. Für diejenigen, die mit dem Begriff nichts anfangen, möchte ich zusammenfassen, was laut Matthew J. Finch OSG ausmacht. (Danke, Nerzenjäger, für den Link).

Regeln. Auf einem OSG-Sheet findet man weniger Werte, v.a. deshalb, weil die Fähigkeiten der SCs weniger ausspezifiziert sind. Meist fehlen auch “Meta-Fertigkeiten” wie Sinnesschärfe, Überzeugen oder Menschenkenntnis; derartiges wird selten gewürfelt, sondern ausgespielt. Überhaupt sind Regeln dazu da, vom SL konkretisiert zu werden (“Rulings not Rules”). Die Spieler erhalten so das Gefühl, alles versuchen zu können und nicht von Aktionen ausgeschlossen zu sein, weil sie den passenden Feat nicht haben.

Welt. In OSG repräsentiert der SL kein Setting, sondern eine Welt – mit allen Zufälligkeiten, unfairen Gegnern und unvorhersehbaren Entwicklungen. Nicht alle Gegner werden hier auf die Gruppenstärke hin dimensioniert; Spieler haben keinen Anspruch auf balancierte Encounter, gleichwohl hat der SL natürlich die Aufgabe, Rückzugsszenarien oder Alternativen einzubauen und keine “Einbahnstraßen in den Tod” zu bauen.

Kampf. Das Kampfsystem ist in OSG-Systemen eher abstrakt, der Kampf ist es allerdings nicht: Durch das “Jeder kann alles versuchen”-Prinzip sind Spieler motiviert, konkrete Aktionen zu setzen, und der SL lässt jene Konsequenzen folgen, die er für sinnvoll, spannend und spaßig hält. Er bezieht dabei die Umgebung ein oder kann bei einem Fumble auch mal in die Trickkiste greifen, ohne sich an Tabellen zu halten. Alles in allem sind OSG-Kämpfe schneller, weil weniger berechenbar und weniger regeltaktisch.

Erfahrung. OSG dreht sich um bodenständige Charaktere, nicht um Halbgötter. Die erste Phase des Abenteuerdaseins ist durchaus bewusst kritisch, und überlebt zu haben ist oft die größte Belohnung. Erfahrung gibt es auch für Schätze; nicht aus materialistischen Gründen, sondern weil diese symbolisch für das Erreichen des Ziels stehen. Damit ist reines Monsterschnetzeln keine gute Taktik, frisst sie doch die Ressourcen der Gruppe auf. Gegenstände, Artefakte usw. fungieren in OSG bis zu einem gewissen Grad als externalisierte Fähigkeiten und sind daher besondere Belohnungen.

Ressourcen. Dem Ressourcen-Management kommt in OSG eine besondere Rolle zu, und es ist durchaus relevant, wieviel Zeit die SCs im Dungeon verbringen. Bleiben sie zu lange, gehen ihnen vielleicht Fackeln oder Proviant aus, oder das Ziel wird allmählich aufgefressen. Nicht zuletzt werden sie auf mehr herumwandernde Monster treffen, die an ihren Ressourcen knabbern, aber nur wenig Schätze bringen. So wird plötzlich auch das Zeichnen einer Karte zu einem wertvollen Beitrag zum Gelingen!

Ich persönlich finde es faszinierend, wie sich all diese Elemente zu einem stimmigen Ganzen fügen und habe echt Lust auf OSG bekommen. Jetzt muss ich nur noch ein OSG-Regelsystem finden, das mich anspricht. Oder eines schreiben! 😉

Eine Petition für den 36-Stunden-Tag

Ich frage mich, wie sich der Mensch entwickelt hätte, wenn eine Erdumdrehung nicht 24 sondern 36 Stunden dauern würde. Würden wir dann 20 Stunden pro Tag schlafen oder trotzdem nur 8? Oder um die Hälfte mehr, also 12 Stunden? 12 Stunden wäre vermutlich eine feine Sache. Dann blieben zwar “nur” noch 24 Stunden, um all die Dinge zu tun, die ich tun möchte, aber das ist besser als die lächerlichen 16 Stunden, die ich so zur Verfügung habe.

Der heutige Vormittag hat mir wieder einmal gezeigt, wie zeitraubend Perfektion sein kann. Mein bescheidenes Vorhaben war, meine CD “The Temple of the Spidergod” fit für den Verkauf zu machen. Inhaltlich war eh schon alles da, nur kam jetzt John’s neues (geniales!) Cover dazu.

Also ran ans InDesign, Inlay- und Booklet-Datei öffnen, Schriftzug gestalten, Font Color adaptieren, alles ein bisschen neu ausrichten, neu abspeichern, JPGs und PDFs exportieren, kleinere JPGs für Thumbnails draus machen, fertig. Ach nein: Audiodateien mit höchstmöglicher Bitrate exportieren, Probe hören, ID3-Tags optimieren, Thumbnail einbetten. Jetzt aber. Aber nein: Promotion-Text für RPGnow fehlt noch. Outcome: 5 Zeilen im Text-Editor. Zeitaufwand dafür: 30 Minuten. Zeitaufwand insgesamt: ein halber Tag.

Da wundert es mich fast, dass ich für Flucht von Valmorca und Destiny Beginner jeweils “nur” 3 Monate gebraucht habe. Aber vielleicht werde ich ja noch schneller. Ist jedenfalls realistischer als dass die Tage länger werden.

Meine ganz spezielle Relativitätstheorie

Wenn ich mich so in Sachen Rollenspiel durch Foren und Blogs lese, stoße ich immer wieder auf Beiträge, wie Abenteuer auszusehen haben, wie man richtig spielleitet, was ein Rollenspiel alles tun darf und was es nicht tun darf, was einen guten Rollenspieler ausmacht usw. usf. Besonders in Foren werden Werte, Techniken und Philosophien enthusiastisch hochgejubelt oder gnadenlos niedergemacht. Brandgefährlich sind:

  • Railroading. Gaaanz schlecht, hört man da. Pfui. Spielleiter, die ihre Spieler gängeln, nur um ihren Plot an den Mann zu bringen. Geht ja gar nicht. Angeblich.
  • Goldene Regel. Für die, die die Goldene Regel nicht kennen: Es geht so ca. darum, dass viele Rollenspiele dem Spielleiter explizit zugestehen, die Regeln außer Kraft zu setzen, wenn es dem allgemeinen Spiel (wie auch immer man das definiert) zuträglich ist. Weil ich im Entwurf von Destiny-Beginner diesen Satz noch drinnen stehen hatte, wurde ich gar vor Mord und Totschlag gewarnt. (Ich bin übrigens froh darüber, denn es hat bei mir einen Denkprozess ausgelöst, der andernfalls vermutlich nicht stattgefunden hätte. Trotzdem ganz schön heftig!)
  • Spielerverantwortung. Die Diskussion, wieviel Mitverantwortung Spieler für das Gelingen einer Session tragen, ist auch nicht immer frei von persönlichen Befindlichkeiten. Cooles aktuelles Beispiel in Jörg und Karstens Richtig Spielleiten.

Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist, dass Rollenspiel von der Vielfalt der Spieler und ihrer Geschmäcker lebt. Gäbe es nur Storyteller oder nur Butt Kicker, wäre das Genre nicht dort, wo es heute ist. Insofern möchte ich hier eine Lanze für Relativität brechen. Railroading funktioniert für einige Spieler besser als alles andere, die Goldene Regel hilft so manchem SL, unvergessliche Plots zu erzeugen, und Spielerverantwortung ist was Feines, aber manche Runden würden gnadenlos zerbrechen, wenn der SL sie einfordert.

Ich jedenfalls bemühe mich, all diese Dinge in Relation und Kontext zu betrachten. Würde ich in jedem Blogger einen selbst ernannten Propheten und in jedem Beitrag ein absolut gültiges Postulat sehen, hätte ich vermutlich schon Bluthochdruck. So sage ich mir einfach: Alles ist relativ, und unterstelle dem Verfasser wohlwollend, dass er das auch wusste und nur auf Fußnoten und Disclaimer verzichten wollte.

Die guten alten Zeiten

Was war dein erstes Rollenspiel? Meines war DSA 1, und wenn ich das Buch der Regeln heute in die Hand nehme, erinnere ich mich sogleich, nostalgisch verklärt, an Felix’ und meine ersten Erfahrungen mit dem Genre. Ich erinnere mich an ein Haus in Havena, in dem sich wenig Sinn, aber dafür massenhaft Fallen und Monster befanden. Ich erinnere mich daran, wie ich Silvanas Befreiung auf dem Atari 800 XL nachprogrammierte. Seufz.

Nostalgie ist eine mächtige Kraft, die stärker wird, je mehr Zeit vergeht. Und sie ist ein potentes Marketing-Instrument. Retro-Klone und Back-to-the-Roots-Tendenzen beweisen das. Ich gestehe gerne, dass auch Destiny nicht zufällig in traditionellem Gewand daher kommt, mit nur wenigen Attributen, keinen Skills und den zwei üblichen verdächtigen “Energien”.

Ebenso mächtig wie Tradition ist aber auch die Evolution. Man kann nicht leugnen, dass die Anforderungen an ein Rollenspiel heute andere sind als damals:

  • Spielfluss ist oberstes Gebot, Wundbrand und lange Regeneration sind ein No-Go (daher in Destiny: Szenenregeneration)
  • Spieler wollen Freiheit bei der Entwicklung ihrer SCs und kein “Magier dürfen nur RS 2 haben” (daher in Destiny: frei wählbare Talente anstatt Archetypen)
  • Spielleiter wollen ihre NSCs einfach und schnell erschaffen können, Abhängigkeiten und Formeln gehen gar nicht (daher: Destiny-Beginner für NSCs)
  • der gnadenlose Zufall wird überall, wo man hinsieht, entschärft: Bennies & Co. lösen Patzertabellen ab (daher in Destiny: Affinitäten und Destiny-Punkte)

Angesichts solcher Errungenschaften könnte man fast der Meinung sein, dass die Zeit zwar “gut und alt” war, die Spiele von damals aber nur “alt”. Ich jedenfalls würde lieber jenes Rollenspiel spielen, das ich letzte Woche im Handel erstanden habe, als nochmal das Dokument der Stärke zu befüllen. Retro-Feeling trotzdem nicht ausgeschlossen.

In der Kürze liegt die Würze

Wenn ich in einem Rollenspiel bis zu einer dreistelligen Seitenzahl lesen muss, um einen SC zu erschaffen, hört sich bei mir der Spaß auf. Das liegt sicher daran, dass aufgrund von 2 Jobs und 2 Kindern und 2 Frauen – upps: ich meinte natürlich 1 Frau – Zeit bei mir absolute Mangelware ist. Aber bei wem nicht?

Schriftsteller wissen, dass es verdammt schwierig ist, sich kurz zu fassen. Dabei ist es so wichtig! Seien es Abenteuer-Summaries oder SC-Backgrounds, seien es Blogs wie dieser oder Postings in Foren: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand den Inhalt liest, ist umgekehrt proportional zur Länge des Beitrags. Das gilt auch und vor allem für Rollenspiele: Kürze, Übersichtlichkeit und Verständlichkeit sind geboten, wenn man Spieler mit engem Zeitbudget nicht verlieren will.

Leider sind diese Faktoren Antagonisten, und der Versuch der Perfektion ist zuweilen wie die Quadratur des Kreises. Ich weiß, welche Mühsal das bedeutet, denn das Credo der AceOfDice-Spiele heißt “Maximaler Spielspaß bei minimalem Zeitaufwand”. Ich beherrsche die Quadratur des Kreises vielleicht noch nicht so sehr, wie ich es gerne möchte, aber dass es möglich ist, weiß ich seit meinem letzten Rollenspiel-Einkauf im Planet Harry.

Doch darüber berichte ich gesondert, sonst werde ich zu lange und verliere am Ende noch Leser.

Die Unbegreiflichkeit des Humors im Rollenspiel

Dass sich am Humor die Geister scheiden, ist ja nichts Neues. Ich selbst hatte aber vor kurzem noch die wagemutige Idee, die Nibelungen-Sage als Grundlage für ein neues AceOfDice-Rollenspiel heran zu ziehen. Und zwar in einer Fassung, die es noch nie gegeben haben würde:

Da wäre zum Beispiel enthüllen zu gewesen, dass Siegfried in Wahrheit ein stümperhafter Tölpel war, der einfach das Glück hatte, einem ohnehin schon kranken Drachen den coup-de-grâce zu versetzen. Knapp gefolgt von Brunhild, die als Sadomaso-Queen die intimsten Geheimnisse aller möglichen Könige rund um Island kannte und damit den Mythos ihrer Unantastbarkeit nährte. Reden wir lieber nicht von Hagen, der sich nie an den Verlust seines einen Auges gewöhnte und regelmäßig beim Durchschreiten von Pforten gegen den Türstock knallte.

Wenn dir beim Lesen des letzten Abschnitts bestenfalls ein mildes Schmunzeln entfleucht ist, hast du unwillkürlich meine These bestätigt, dass ein humoreskes Rollenspiel nur schwerlich funktionieren kann. Humor lässt sich nicht vorprogrammieren, sei er subtiler Art oder Marke Holzhammer.

Humor im Rollenspiel ist ein Produkt der Situation. In unserer Runde etwa wurden Gegner in die Frucht geschlagen, man hörte hinter einer Tür Gerümpel, ein Meuchelmörder hielt einem SC die Kehle an den Hals, und Handelswaren wurden irgendwo stromabwärts transpiriert. Es gab einen 3 Meter großen Gamantulen, der sich einen Busch auf den Kopf setzte, um einen Haufen Raben zu täuschen. Es gab eine Verfolgungsjagd, in der ausgewachsene Helden vor einem beinlosen Bettler davonliefen. Es gab einen 12.-stufigen Magier, der vor 2 Goblins auf einen Baum flüchten musste. Das sind die Dinge, bei deren Erinnerung wir heute noch lachen.

Aber nichts davon war geplant. Zum Glück!